BionicWoman sagt, es gäbe nichts traurigeres als Menschen, die vorher noch Bestandteil einer Gruppe waren, später aber alleine anzutreffen sind. Man denke an heimkehrende FaschingsteilnehmerInnen, deren Blume im Revers längst abgeknickt, deren Schminke längst verlaufen und deren Perücke verrutscht ist.
Genau das dachte FarmerBoy am Mittwochabend im Supermarkt. Das von ihm nicht goutierte Fußballspiel ist schon zu Ende, und eine ganz offensichtlich todtraurige junge Frau mit Deutschlandlogo im Gesicht steht am Alkoholregal und greift sich missmutig was Hochprozentiges. Ein Häufchen Elend, enttäuscht vom verlorenen Spiel. Das kommt davon, wenn man sich die falschen Farben ins Gesicht schmiert.
Es soll Menschen gegeben haben, die geweint haben als die deutsche Mannschaft verlor. Sogar Leute, die vor einigen Jahren den Sachbuchklassiker "No Logo!" von Naomi Klein propagiert haben, finden plötzlich nichts mehr dabei, kleine Fläggchen aus dem Fenster zu hängen. Die Emotionalisierungsmaschine hat also funktioniert. Auf irgendwas muss man ja schließlich stolz sein können hier, wenn schon nicht auf sich selbst.
4 Kommentare:
Hm. Ich habe auch ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen am Auto stecken, bin aber weder Fußball-Fanatiker, noch hupend-um-die-Häuser-ziehendes-Präkariat, noch Nazi. Ich bin auch nicht stolz auf Deutschland oder die Nationalmannschaft (zwar auch nicht das Gegenteil, aber eben auch nicht stolz im eigentlichen Sinne). Macht mich das jetzt zu einem schlechten Menschen, den man herablassend behandeln kann?
Ich glaube nein.
Ich hatte während der WM einfach Spaß dabei, das Team zu unterstützen, zu feiern und gute Stimmung zu erleben. Die Hoffnung, dieses schöne Erlebnis würde sich wiederholen, hat sich leider nicht erfüllt und die Fahne klemmt eigentlich auch nur noch mangels Motivation zum Wegpacken am Fenster.
Aber trotzdem erwarte ich ein wenig mehr Toleranz. Denn Intoleranz ist meiner Meinung nach eine wesentlich stärkere (und gefährlichere) Triebfeder für (falschen) Nationalstolz, als alles andere.
Habe ich jemanden herablassend behandelt? Wenn ja, tut mir das zwar sehr leid. Schließlich aber polemisiere ich in meinem Blog (siehe über-ich). Ich provoziere damit manchmal Entlarvendes, aber auch Gegenteiliges.
Wenn Du Dich nun von dem stumpfen Deutschtum distanzieren musst, dann ist das ja auch ein klares Statement (das hoffen lässt, es gäbe von dieser Sorte Mensch mehr).
Als Mensch, der bis vor ein paar Jahren noch Verwandte hatte, die milde formuliert ein problematisches Verhältnis zur Demokratie pflegten, bin ich allerdings stark sensibilisiert, was die nationale Frage betrifft.
Dieses Land hätte die sehr große Chance gehabt, den Nationalitätsbegriff hinter sich und Menschen endlich Menschen sein zu lassen - und nicht Ösis, oder Deutsche oder oder oder. Die Chance wurde leider verpasst, würde ich mal sagen.
Außerdem sehe ich einen direkten Zusammenhang zwischen der neuen, "deutschen Normalität" und dem Anstieg rechtsradikaler Gewalt.Denn für den einen mag die Fahne Accessoire sein, für den anderen ist sie jedoch nur die Legitimation zur Ausgrenzung.
Entschuldigung akzeptiert. Aber ich kann dir nicht ganz folgen: wann hatte D die Chance, vom Nationalitätsbegriff abzurücken bzw. warum wurde diese Chance verpasst?
Und: Ich sehe nicht unbedingt einen direkten Zusammenhang zwischen Fähnchen am Auto und Ausgrenzung. Mein Eindruck ist, dass gerade die Fähnchen davon zeugen, wie weit die Integration in Deutschland schon gekommen ist. An vielen Autos wehen die Fahnen mehrerer Länder, Mehrfamilienhäuser sind zum größten Teil multikulturell beflaggt. Und niemand schlägt sich deswegen die Köpfe ein. Nach der EM landen die Fahnen wieder im Schrank und man ist wieder normaler Nachbar. Ich verstehe nicht, warum es so falsch sein soll, sich mit seinem Land (oder auch nur "seiner" Mannschaft) zu identifizieren. Und die Vorstellung, man könne das Unterteilen in Kategorien grundsätzlich aus der Welt schaffen, halte ich ehrlich gesagt für blauäugig. So funktionieren Menschen nunmal. Was um Gottes Willen nicht heißen soll, dass ich es für gut heiße, verschieden kategorisierte Menschen auch vertschieden zu behandeln. Mal abgesehen von der Menschen-Kategorie "Nazi" vielleicht. Die sollte grundsätzlich als Idiot behandelt werden.
Nun ja, das eine bedingt das andere, wie Du ja schon gesagt hast. Wer in nationalen Kategorien denkt, muss halt auch Nazis in kauf nehmen.
Es ist in dem Sinne falsch, sich mit einer Mannschaft zu identifizieren, da es überhaupt gar keinen Grund zur Identifikation geben kann. Wer sind denn diese Leute? Was denken sie, was tun sie und was hat das mit mir zu tun? Das einzig Gemeinsame ist: Sie leben zur gleichen Zeit im gleichen Land.
Ich halte es da eher mit Gesinnungsgenossen aus meinem dirkekten Umfeld. Mit denen kann ich mich solidarisieren und mit ihnen fiebern.
Apropos Fahnen und Ausgrenzung: Man sollte mal die einschlägigen Foren durchstöbern, in denen die Spiele durchdekliniert werden. Da wird ein ganz anderer Ton angeschlagen. Menschen werden aufgrund ihrer Nationalität gedisst, und die Provider reagieren nicht mal drauf...
Zu der verpassten Chance: Aufgrund der deutschen Vergangenheit wäre s möglich gewesen, den Begriff des Nationalen endlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Die "richtigen Deutschen" allerdings verlangen seit Jahrzehnten die Normalisierung Deutschlands, d.h. Verbrechen haben zwar stattgefunden, aber was hat das mit uns armen Nachgeborenen zu tun?
Intellektuell unterfüttert, nicht nur von Nazis, sondern auch von zuvor gänzlich unverdächtigen Charakteren wie G. Schröder oder M. Walser, wurde die Debatte soweit geführt, dass aus den ehemaligen Tätern ganz unversehens Opfer wurden (siehe Dresdens alliierter Bombenterror).
Auf der anderen Ebene gibt es fast nur noch Filme und Dokus über die Helden, welche sich gegen das 3. Reich gewehrt hätten. Der böse Nazi kommt nur noch als völlig durchgeknallter Mensch vor, der mit dem typisch "deutschen" nichts mehr zu tun haben will: Die Menschen waren halt gut, nur ein paar Nazis haben es eben versaut!
Wenn hier mal nicht versucht wird, einen deutschen Heldenepos heraus zu arbeiten, weiss ich auch nicht weiter. Dazu passt ja, dass man deutschen "Gefallenen" der Bundeswehr ein Kriegerdenkmal stiften möchte. Aber das ist ein anderes Thema...
Und: Ich bin durchaus der Meinung, dass sich die Menschen ändern können. Das setzt natürlich auch den Willen einer Veränderung voraus. In grauer Vorzeit hätte man jemanden auch als naiv bezeichnet, wenn er mit der Idee einer demokratischen Gesellschaft kekommen wäre. Und jetzt haben wir sogar beinahe eine ;-) Insofern bin ich sicher, dass der Mensch auch den Nationalstaat überwinden wird.
Kommentar veröffentlichen