15:22 Uhr: Okay, okay, heute geht es um den EM-Titel, und damit geht es für viele Leute um die Wurst. Trotzdem ist das noch lange kein Grund, mit einem hundertfach beflaggten Sportflitzer durch die Stadt zu rasen und die restliche Welt mit ultra-öden Hits von den ultra-öden Sportfreunden Stiller zu behelligen, so wie es eben gerade passiert ist. Auch Fanatismus, dies sei an dieser Stelle einmal gesagt, hat seine Grenzen. Dahinter herrscht die Peinlichkeit.
17:34 Uhr: Heute Nacht endet es! Das Leben nach der EM beginnt bald, das kann ich schon fühlen. Ich freue mich sehr darauf. Es wird sonntags wieder neue Tatort-Folgen geben, und man kann sich endlich wieder in einen Biergarten setzen, ohne von dem ganzen Fußballgedöns behelligt zu werden. Hoffentlich fällt es niemandem ein, während der olympischen Sommerspiele in China einen Autokorso für jede gewonnene Medaille zu starten. Allein schon der Gedanke daran...
18:05 Uhr: Meine liebe Frau C. und ich haben uns vorgenommen, heute Abend lieber den Rowan Atkinson Film zu schauen. Nur in den Werbepausen wollen wir zum Fußball zappen, um zu erfahren, ob C. heute Nacht schlafen kann oder nicht. Die Arme tritt morgen in der Früh' ihre neue Arbeitsstelle an. Nicht nur deshalb wünsche ich mir, die spanische Mannschaft möge gewinnen. Das zu verkraften ist Deutschland immerhin selbstbewusst genug. Bei einem EM-Sieg würde Deutschland jedoch viel zu selbstbewusst, und davor muss man ja auch irgendwie Angst haben!
20:37 Uhr: Ach Mist, den Rowan-Atkinson-Film kenne ich schon. Wir bleiben mangels Alternativen trotzdem dabei. Rowan Atkinson heißt im Film Johnnie English und spielt einen trotteligen Agenten im Geheimdienst ihrer Majestät. Wie lustig: Es ist eine James Bond Parodie. Mike Myers macht dasselbe als Austin Powers aber viel besser. Trotzdem okay, aber irgendwie möchte es keine Werbepause geben. Ich kann mir vorstellen, dass es einfach keine Werbeaufträge gegeben hatte. Kein Wunder, bei dem Event im Ersten. Andererseits ist es sowieso mucksmäuschenstill draußen, es scheint also noch nichts passiert zu sein.
21:18 Uhr: Die erste Werbepause. Was passiert im Fußball? Wir schalten zum ARD, und ich muss zuerst einmal klären, wer welche Trikots trägt. Meine liebe Frau C. ist da viel fachkundiger und erklärt es mir: Die deutsche Mannschaft trägt immer weiß. Dies erklärt sich nur Sekunden später von alleine: Ein roter Spieler schießt ein Tor und Mannheim jubelt nicht. Muss also ein Treffer für die spanische Mannschaft gewesen sein. Gibt es nun tatsächlich eine ruhige Nacht? Und wird deutscher Größenwahn gestoppt wie anno 1946?
21:26 Uhr: Und muss die Kamera zeigen, wie das Blut aus Ballacks Gesicht spritzt? "Der Kapitän am Boden, Deutschland am Boden!" sagt die Sprechmaschine im Fernsehen. Woaah, etwas weniger Pathos, Herrschaften, bitteschön. Und dann gibt es einen Freistoß, doch andernorts ist die Werbung zu Ende und wir wollen sehen, wie Johnnie English durch ein Abflußrohr in das Schloss des Bösewichts Pascal Sauvage gelangt. Und am Ende Great Britain rettet.
21:47 Uhr: Denn der Film ist mangels Werbepausen schon zu Ende, während in der ARD erstmal Halbzeit ist. Laaaangweilig! Och nö, das Spiel geht doch schon weiter. Auch laaangweilig! Meine liebe Frau C. und ich entschließen uns, das Spiel nicht 45min am Stück zu verfolgen und machen den Fernseher lieber ganz aus. Anhand des gelegentlichen kollektiven Aufstöhnens und Fluchens in der Nachbarschaft glaube ich denken zu dürfen, dass wir beide offensichtlich viel mehr Spaß haben.
22:25 Uhr: Wir wollen doch noch mal sicher gehen, dass nichts weiter passiert ist. Beruhigt stellen wir fest, dass alles beim Alten ist. Und auch die restlichen sieben bis acht Minuten geschieht nichts. Am Ende des Spiels sieht man noch ein paar deutsche ZuschauerInnen weinen. Warum können die sich nicht einfach über den zweiten Platz freuen? Letzten Mittwoch war man ja auch nicht weiter, und da wurde gefeiert, bis der Nikolaus tot umgefallen ist. Wie bitte soll man Fußballfans verstehen können, so indifferent wie sie sind?
22:32 Uhr: Spanien ist EM! Ist sowieso ein hübscheres Land als Deutschland, und die spanische Küche ist auch viel besser. Spanien hatte früher übrigens auch mal ein faschistisches Regime, genau wie Italien und Deutschland. Nun ist aber genug. Jetzt wird der Televisor endlich heruntergefahren. Meine liebe Frau C. bekommt nämlich noch eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen. Damit sie träumt von Dingen, die schön sind und wichtig. Wie wäre es mal wieder mit einem guten Buch, liebe Fußballfans? Na, dann gute Nacht, Deutschland!
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