Freitag, 6. Juni 2008

Kein Kieferbruch! Vorbereitung zur EM 2008

Jetzt geht's wieder los: An den einigermaßen hübschen, aber völlig überflüssigen Autos wehen nun wieder vollkommen hässliche, nutzlose Fahnen jeglicher Couleur. Von den Balkonen weht's ebenfalls und in ein paar Tagen werden auch die ersten Gesichter entsprechend bemalt sein! Die EM 2008 geht dieses Wochenende los, und der Mob versammelt sich wieder zum gemeinsamen Fest.

Ich persönlich finde ja: Menschen, die nationalstaatliche Insignien benötigen, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern, sind genauso arme Würstchen wie Leute, die sich gar nichts dabei denken, wenn sie sich Nationalfarben in Gesicht schmieren. Das ist ästhetisch nicht hübsch anzusehen und spricht nicht für die geistige Verfassung der Bevölkerung, egal welcher Herkunft sie ist. Distinktionsgewinn durch nationalstaatliche Symbole geht nun mal gar nicht.

In meinen zumindest kritischen, vielleicht auch noch antideutschen Umfeld in Berlin gab es die Überlegung zur WM 2006, allen Fahrzeugen mit Deutschlandfahnen einen Naziaufkleber aufzupappen. Wir entschieden uns dagegen, weil wir eine körperliche Gefährdung der Betroffenen in Kreuzberg/ Neukölln nicht ausschließen konnten. Nicht jeder Fahnenschwenker ist ein Nazi, und sowieso gilt: kein Mensch verdient einen Kieferbruch. Egal, was für ein Depp er sein mag! Also, liebe Kinder: Macht so was nicht zu Hause!

Internationale Sportwettbewerbe setzen nationalstaatliches Denken voraus. Sie fördern völkisches Gedankengut: Wenn es UNS gibt, dann gibt es auch die ANDEREN. Selten aber sind die ANDEREN gleichwertige Menschen. Eher noch sind sie WENIGER gleich, schlimmstenfalls aber sind sie minderwertig. Indem man sich in eine Gruppe einschließt, schließt man andere daraus aus. Nicht viele Menschen sind souverän genug, um solche Spiele nüchtern UND mit Herz zu verfolgen.

Sicher, die Bevölkerung soll sich wieder gut fühlen können. Jeder Staat versucht, eine Identifizierung mit ihm möglich zu machen, eine Corporate Identity, wenn man es so will. Dies funktioniert in der Regel aber nur durch die selbstbewusste Abgrenzung von anderen Nationen. Gemeinsame Siege und oder Niederlagen stärken dabei das Kollektiv. Dadurch wird Nationalbewusstsein erzeugt, ein Stolz auf gänzlich abstrakte Begebenheiten.

Ein Staat ist aber nun nichts anderes als ein abstraktes Gebilde. In seinen vollkommen willkürlich gesetzten Grenzen binden sich mehrere Bevölkerungsgruppen zu einem Gemenge. Es ist pures Glück oder elendes Pech, in diesem oder in jenem Staat geboren zu sein. Der Staat tut nichts dafür, dass jemand Bestimmtes in ihm geboren wird (dem Himmel sei Dank), und der dort Geborene selber auch nichts. Was unterscheidet mich also von anderen Menschen in anderen europäischen Staaten?

Ich würde soweit gehen zu behaupten, dass ich vielleicht mit Londonern mehr gemein habe als mit Frankfurtern. Von Münchnern ganz zu schweigen. Die Berliner z.B. unterscheiden sich in ihrer Mentalität sehr stark von den Mannheimern. Wo ist da die konkrete Verbindung zum "Deutschen"? Kann es etwas so "Deutsches" geben, dass man es in der globalisierten Welt nicht überall finden könnte? Wie kann ich also auf so ein Abstraktum wie Deutschland oder die Leistungen seiner Nationalmannschaft stolz sein können?

Ich kann nur auf meine eigene Leistung stolz sein. Meine Leistung manifestiert sich möglicherweise noch im regionalen Raum, und so könnte ich voller Stolz über meine Region sprechen. Alles andere liegt nicht mehr in meiner Verantwortung. Ansonsten bin ich froh, in Deutschland geboren zu sein. Aber für seine Grenzen zu kämpfen wäre ich nicht bereit. Ich halte das Nationalprinzip für überholt, und ebenso sollte man den Begriff "Stolz" endlich entsorgen oder neu definieren.

Allen anderen wünsche ich viel Spass bei der EM 2008. Möge das Met fließen und die Gedanken beflügeln.

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