Donnerstag, 7. Juni 2012

Quo vadis, Fremder? Ein Plädoyer für das Nicht-Dazu-Gehören!

kriegswichtig: ein Gefühl der Fremdheit
Ich habe kürzlich in einer Berlin- Reportage gelesen, wie zwei junge Frauen Mitte 20 versuchen, so auszusehen wie typische Berlinerinnen. Sie wollen sich abheben von all den Touristen und Neuberlinern. Dabei sind sie erst kürzlich aus Süddeutschland hierher gezogen. Nun schaulaufen sie durch die Cafés der Stadt und haben Dress- und Sozialcodes im Schnellkurs verinnerlicht. Vielleicht sind sie gar nicht mehr sich selbst, wer weiß?

Wenn ich einen der 1000 mit Wohnungsauflösungen bestückten Läden nach Schallplatten durchstöbere und tatsächlich eine finde, dann verlangt der Händler stets 3 Euro dafür. Hoho, sage ich dann, Touripreis, wa? Ich geb' Dir maximal einen Euro dafür, so sieht's aus. Der Händler will dann maximal einen Euro dafür, trotzdem hält er mich nur für einen preiskundigen Touristen aus dem nichtberliner Großraum. Wenn auch für einen gewieften Touristen.

Ich tue ja nun auch alles dafür, nicht wie ein Berliner zu wirken: Ich wohne zwar mit Unterbrechungen seit 12 Jahren in Berlin, aber kleide mich gar nicht wie ein typischer Berliner (Hosenboden in den Knien und Schlabbershirt) und verhalte mich auch nicht wie einer (desinteressiert UND schnoddrig, viele Projekte). Ich verhalte mich nämlich wie ein Fremder. Ich verweigere mich jeglichen Idioms und ich kenne keine niedlichen Abkürzungen für Orte (Görli, Kotti, Alex etc.). Alles in Allem: Ich bin ein Fremder geblieben.

Das ist nicht neu: Auch in meinem Geburtsort, während meiner Ausbildung in Ludwigshafen, später in Darmstadt, sogar während des Studiums und zwischendurch in Mannheim, war ich ein Fremder und bin es heute immer noch. In Bodrum, in Neu Delhi, auf Sardinien oder auf Malta, in Spanien und in Portugal: Ich bleibe fremd. Ich gehöre einfach nicht dazu. Ich verstelle mich nicht, ich verkleide mich nicht, ich tue nicht so als ob.

Obwohl: Ich ertappe mich manchmal dabei, wie sich mein Blick beschränkt auf die paar Meter vor mir, wie ich gezielt Sehenswürdigkeiten (Schuhe über der Straßenlaterne, der Blick von der Oberbaumbrücke über die Spree, Straßenmusiker etc.) ignoriere, wie ich bewusst keine Fotos mache von Dingen, die mich eigentlich interessieren. Nur, damit die Touristen nicht denken, ich sei einer von ihnen. Ach was: jeder soll sehen: Ich gehöre hierher, wohne hier, bin vielleicht auch hier geboren. Nur deshalb interessiert mich der ganze Rummel hier auch nicht.

Ich bin so fucking cool Berlin, so fucking cool geht es eigentlich gar nicht. Doch dann weiß ich: Cool sein zu wollen geht nicht. Es ist sogar das Gegenteil von cool. Denn cool ist man einfach. Dafür tut man nichts, und man tut auch nicht bewusst nichts. Also bleibt alles beim Alten: Ich bleibe fremd, noch dazu uncool fremd. Außerdem sehe ich so viel weniger. Denn das Schöne am fremd sein ist doch: Das zu sehen, was der Nichtfremde gar nicht mehr wahrnimmt. Clint Eastwood spielte in vielen Filmen einen Fremden. Er war fremd, wo immer er auch hinkam. Trotzdem war er irgendwie cool. Er hat das Wesentliche immer erkannt.

Ich weiß nicht, ob ich ewig in Berlin bleiben werde. Vielleicht will ich bald einfach mal woanders fremd sein. Vielleicht ist mir Berlin nicht mehr fremd genug. Wo ich doch schon gelegentlich versuche, wie ein Berliner zu wirken. Ich finde, fremd sein dürfen sollte in den Katalog der Menschenrechte aufgenommen werden. Denn im Grunde ist es herrlich, die Welt mit den Augen eines Fremden zu betrachten. Der Versuch, irgendwo dazu zu gehören, scheint mir hingegen so klein. So vergeblich. So fremd.

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