Manchmal überfallen einen die Erinnerungen. Man schneidet einen Ring Fleischwurst an und denkt plötzlich an längst vergangene Zeiten und Freunde. Da war J., der einst Schlagzeuger in "meiner" Hardcore- Band St-37 war. Der hatte es arg mit dem Essen. Nach den Proben im Schweinestall im Dorf K., den wir höchstselbst ausbetoniert und mit einer Gips- Steinwolldämmung versehen hatten, hatten wir großen Hunger und bestellten uns zu dritt zwei Familienpizzen.
Danach gingen wir zum gemütlichen Teil des Abends über und tranken noch etwas Bier. Unser bärtiger Schlagzeuger, beileibe nicht fett, aber stämmig, ging den Weg zur Küche, brachte sich einen Ring Fleischwurst mit. Und wie er da so saß, mit einem Bier in der linken Hand, und der Fleischwurst in der rechten, da meinte er lapidar: Es gibt nichts Besseres als einen Ring Fleischwurst in der einen und eine Flasche Bier in der anderen Hand.
Dann biss er herzhaft in die Wurst und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Ich war tief beeindruckt und begann ernstlich, diesen Mann, der ja locker fünf Jahre jünger war als ich, zu bewundern, ja beinahe zu verehren. Es lag eine derartige Klarheit in diesem Satz, dass er mich vom Hocker riss. Völlig unironisch meine ich heute, damals einen Blick in eine spirituelle Wahrheit getan zu haben.
Ich traf J. einige Jahre später, wir hatten uns längst aus den Augen verloren, in einer anderen Stadt wieder. Da ich meiner damaligen Freundin von dieser bewundernswerten Begebenheit erzählte, meinte ich nur nach einigem Geplänkel stolz: "Das ist übrigens der Mann, der sich mit einem Ring Fleischwurst in der einen Hand und einer Flasche Bier in der anderen Hand ..." usw. usf. Was soll ich sagen? Er nahm es mir übel und vergalt es mir mit einer seiner Mythen bezüglich meiner Person.
Er lag völlig richtig, und ich konnte es nur bejahen: "Und das ist H., begegnete er seiner Freundin, und der war eine Diva!" Richtig! Ich war und bin eine Diva. Alles (solange es um Kunst geht) muss sich nach mir richten. Tut es das nicht, bin ich gekränkt. Kunst kennt keine Kompromisse. Dabei ist es egal, ob man ins Mikro kreischt oder eine Wand bemalt. Leider muss ich ergänzen: J.'s Quittung war weit weniger liebevoll gemeint als meine Ausmalung eines Bandmythos'.
Ich war aufrichtig fasziniert von J.'s Attitüde. J. war sichtlich genervt von meiner. Das ist schließlich der Unterschied! Diese Begegnung hat mich traurig gemacht. Man merkt schließlich, wie alle Leichtigkeit verschwindet aus unseren Leben und der Missgunst und dem Misstrauen weicht. Wie wir straight werden und vielleicht auch verbittert. Wie wir uns unserer Jugend unsicher sind und uns schämen wegen nichts. Wir hatten zwar noch Telefonnummern ausgetauscht, wussten aber vorher schon, dass keiner den anderen anrufen wird.
Die Fleischwurst heute war übrigens nicht halb so gut wie die aus K.
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