Wo sind die guten alten Zeiten hin, als Kinder noch als das galten, was sie im Grunde auch sind: Als unsägliche Störenfriede, die dauernd Lärm machen, frech sind und mit ihrem ewigen Gelaufe das Treppenholz ruinieren. Eltern wurde stets mit der Aufkündigung des Mietvertrages gedroht, sollte keine Besserung eintreten. Und man meinte es ernst!
Heute ist das natürlich anders. Es soll ja nicht benachteiligt werden, wer künftige Arbeitslose in die Welt setzt. Vielmehr müssen Familien unterstützt werden, und das ist ja eigentlich auch gut so. Dummerweise setzt sich damit manchmal etwas Größenwahn durch, und das auf zweierlei Weise. Erstens: Kinder werden zum Ersatzvehikel für eine ansonsten verpfuschte, weil völlig sinnlose Existenz. Zweitens: Das ganze soziale Umfeld muss sich nach einer einzigen Familie richten, nach ihren Ritualen, Bedürfnissen und Tagesabläufen.
Schnell werden Aufrufe an die Haustür getackert, in denen so etwas anachronistisches wie Mittagsruhe gefordert wird. Zwischen 12 und 15Uhr darf nun weder gearbeitet, geputzt noch geatmet werden. Zu anderen Zeiten darf es aber auch nicht zu laut zugehen, wenn doch, dann wird - am liebsten mit Säugling im Arm - an der Wohnungstüre geklingelt. Was nämlich laut ist, legt die Familie selbst fest: Laut sind alle Geräusche, die von außen kommen und in ihrer Wohnung hörbar sind.
FarmerBoy hat das Pech, in einem sehr hellhörigen Haus zu leben. Die Zimmertüren dämpfen den Schall mehr als der Fußboden. Offensichtlich hat man es unterlassen, eine Trittschalldämmung einzubauen. Er leidet darunter stark, weil seine kleinen Nachbarkinder nachts mitunter erbärmlich schreien. Manchmal wirklich so erbärmlich und so lange, dass er aufrecht im Bett sitzt und hinterher nicht mehr einschlafen kann. Er beschwert sich allerdings nicht. Ist ja völlig normal, mit so kleinen Kindern im Haus, denkt er nachsichtig.
Grenzwertig wird es für ihn, wenn er zum Beispiel an einem Feiertag mal so richtig ausschlafen möchte, aber die hochmusikalische Mutter und Nachbarin morgens um acht Uhr laut auf der Orgel spielen muss. Er denkt sich dann, das Kissen fest ans Ohr gedrückt: "Na warte!" Aber am Ende reagiert er dann doch nichts, man will ja keinen Kleinkrieg entfachen. Andererseits ist es natürlich unfair, dass einzig die Familie von unten ihre Existenz aural unter Beweis stellen darf.
Packt FarmerBoy aber einmal seine akustische Gitarre aus, um ein paar selbstkomponierte Folkstücke mit Bandkollegin H. zu spielen - er streichelt seine Gitarre dabei nur sanft, und seine Stimme hat ein wohltuendes Timbre, während H. ein Keyboard anstimmt, das in Tonlage und Lautstärke der Gitarre angepasst ist - klingelt es an der Tür. Es ist viertel nach Acht abends. Die Nachbarin, mit Säugling im Arm: "Können Sie bitte etwas leiser sein, es ist jetzt schon nach Acht Uhr und wir wollen unsere Kinder ins Bett bringen!"
FarmerBoy ist zuerst verdattert: "Aber das ist doch Zimmerlautstärke, und es ist noch nicht einmal 22Uhr!" "Vielleicht sind die Wände ja sehr hellhörig", flötet die Nachbarin, und als ihr FarmerBoy dann doch geistesgegenwärtig entgegnet, dass sie jetzt doch noch wenigstens bis 21Uhr spielen würden, zieht sie mit verhärteter Miene von dannen. Seitdem hat FarmerBoy den starken Eindruck, schon die ganze Zeit um sein Recht zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit betrogen worden zu sein. Schritt für Schritt. Vielleicht wird es doch endlich Zeit für einen Kleinkrieg.
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