kriegswichtig: Chaos und Verwirrung |
Ich brauche die Struktur. Nicht so eine Struktur wie: immer zur selben Zeit aufstehen, immer dasselbe am selben Ort tun und den lieben langen Tag in fein säuberlich aufgeteilte Zeiteinheiten eingeteilt zu wissen. Da fehlt es mir an den Freiheiten, an meinen ganz persönlichen, inneren Chaostagen und imaginiertem Linksterrorismus. Meine Strukturreformen verlangen eher nach einigen allgemein gültigen und anerkannten Verhaltensparadigmen innerhalb einer Gesellschaft.
Leider sind die Menschen mittlerweile dermaßen individualisiert, dass es nur noch ganz persönliche Werte zu geben scheint (jene, die einem Individuum einen Vorteil garantieren), und weniger gesellschaftlich verbindliche Werte (damit's mir besser geht). Aus diesem Umstand generiert sich ein Verhalten, das ich euphemistisch als "das Problem anderer Leute, das plötzlich zu meinem wird" benennen möchte.
Hier einige der gemeinten Kalamitäten:
- Jemand hat es besonders eilig und verknappt den Passanten die ohnehin kurze Grün-Phase mittels auf dem Fußgängerüberweg stehendem KFZ, damit er (oder sie) nicht noch ein weiteres Mal an dieser beschissenen Ampel stehen bleiben muss. Wer bezahlt denn hier die KFZ- Steuer?
- Ein anderer braucht dringend eine Bescheinigung, die ihm jetzt sofort ausgefertigt werden muss, weil er diese in einer Viertelstunde abgeben muss. Und nein, früher konnte er damit nicht kommen, da er keine Zeit hatte, weil er a.) die Enten im Park füttern musste b.) gerade Beziehungsprobleme hat oder c.) das Telefon kaputt ist.
- Jemand möchte gerne aus einer WG ausziehen und verhindern, deshalb doppelte Miete zu zahlen. Verständlich, möchte man meinen. Daher bittet er die Mitbewohnerin, ggf. einen Nachmieter zu akzeptieren. Da er es aber irgendwie lästig findet, selbst nach einem passenden Nachmieter zu suchen, möchte er das lieber gleich der Mitbewohnerin in Auftrag geben. Schließlich muss sie mit seinem Nachmieter leben, nicht er, so die Begründung.
- Jemand bekommt ein Kind und danach vielleicht noch ein zweites. Nun wollte der Rest des Hauses gerade diese Kinder eigentlich gar nicht wirklich haben, muss es aber wohl akzeptieren. Dennoch hat plötzlich das ganze Haus besonders viel Rücksicht zu nehmen. Da darf man sich ab 20Uhr nicht mehr in der Küche unterhalten, und die Schuhe zieht man am Besten erst vor dem Haus an und auch dort wieder aus. Von wegen dem Getrampel.
- Jemand will unbedingt einen Hund in einer Stadt halten. Geschenkt! Nun findet dieser Jemand es leider extrem schwul, die Scheiße des Hundes zu entsorgen. Ein anderer tritt hinein. Glück personalisieren, Ungemach sozialisieren, nennt man das.
- Banken bauen großen Bockmist und verursachen die sogenannte Staatsschuldenkrise (mein Vorschlag als Unwort des Jahres 2012). Obwohl die meisten Menschen gar nichts dafür können, müssen sie dafür bezahlen. In den Banken schäumen derweil die Champagnerflaschen. Gewinn personalisieren, Verlust sozialisieren, nennt man das.
- Jemand fällt kein weiteres Beispiel mehr ein und bittet die LeserInnen, im Kommentarfeld geeignete zu beschreiben.
Wir erinnern uns: Die bösen Bolschewisten haben in der Nachkriegszeit die armen, osteuropäischen Deutschen aus ihren Ländereien gejagt, nachdem Hitler erfolglos versucht hat, seine Auffassung von Sozialismus dort zu implementieren. Die ansässigen Deutschen waren indes und eigentlich allesamt große Humanisten und somit eine wertvolle Stütze für die osteuropäischen Staaten. Die Deutschen haben Russland und Polen ja geradezu erfunden, und sie für die sozialistischen Untaten Hitlers verantwortlich zu machen, war und bleibt ungerecht.
Diesbezüglich ist es laut Frau Steinbach (CDU) auch unverschämt, wenn die Rückgewinnung ehemaliger Besitztümer, vom "Tätervolk" Polen kritisiert wird. Jeder (also Frau Steinbach) weiß, dass die Polen damals aufgerüstet hatten, um Deutschland zu überfallen. Diese Pläne hat Hitler allerdings vereitelt. Sonst wären wir heute allesamt lethargische Arbeitnehmer mit Hang zu Kraftfahrzeugen in einem großpolnischen Reich. Dank Hitler ist es anders gekommen. Ist es nicht? Egal!
Hitlers war indes ein Sozialist. Und da ein Sozialist, noch dazu einer, der sich um die Arbeiter kümmert (wie, hat man ja gesehen), IMMER auch ein Linker ist, war die NSDAP eben auch eine linke Partei. So twitterte Frau Steinbach (CDU) zumindest munter drauf los, wie es so ihre Art ist: "Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI". (hier...) Soweit alles klar, Frau Steinbach (CDU): Wie wenn die CDU oder die CSU Christen und soziale Demokraten wären, nur weil es in deren Namen steht.
Wir lernen daraus: Wenn rechtskonservative Politikerinnen und Politiker "moderne" Mediendienste wie Twitter benutzen, bedeutet das noch lange nicht, dass sich diese technische Kehrtwende auf ihr Verhältnis zur Realität auswirkt und vielleicht sogar Progressives aus ihnen hervorbringt. Wir lernen aber noch etwas: Wenn die NSDAP eine linke Partei war, dann muss es die CDU ebenfalls sein. Denn in keiner anderen Nachkriegspartei sind so viele "ehemalige" Nationalsozialisten (also Linke) politisch aktiv gewesen wie in der CDU. Hier nur die bekanntesten Namen:
- Kurt Georg Kiesinger
- Walther Leisler Kiep
- Hanns Martin Schleyer
- Carl Carstens
- Hans Filbinger u.v.a.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen