Mittwoch, 1. Juni 2011

Wenn's nur der Wahrheitsfindung dienen würde: Eitelkeit, take over!

Jörg Kachelmann ist gestern vom Vorwurf der Vergewaltigung mangels Beweisen freigesprochen worden. Nun ist er wieder frei und kann seinen Geschäften nachgehen. So weit ihm dies möglich ist: sein Ruf ist nun zerstört! Eine mögliche Schuld wird ihm den Rest seines Lebens anhaften. Aus Mangel an Beweisen heißt nichts anderes, als dass ihm die Tat nicht nachgewiesen werden kann. Heißt aber auch, dass er die Tat begangen haben könnte. Ein Zweifel bleibt.

Ich finde das Urteil gut. Die Vorverurteilung des Herrn Kachelmann, bei all seiner privaten Unmoral, war zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt und daher der Wahrheitsfindung eher hinderlich. Im Zweifel für den Angeklagten! Das ist unsere Rechtsprechung. Moralische Entrüstung und voreilige Parteinahme hat noch nie zu etwas gutem geführt.

Lieber einen Schuldigen laufen lassen, als einen Unschuldigen einzusperren. Da hat unsere Rechtssprechung aus der Geschichte gelernt. Und persönliche Unmoral darf nicht zu Verurteilungen führen. Wäre dem so, bräuchte man kein Rechtssystem mehr: Im Zweifelsgrund handelt jeder Mensch früher oder später unmoralisch bzw. lässt sich jedem Menschen vor Gericht unmoralisches Verhalten nachweisen. Moral hat also aus gutem Grund nichts vor bundesdeutschen Gerichten zu suchen!

Eine peinliche Rolle in dem Verfahren spielte unter anderem die Staatsanwaltschaft. Sie trat ausschließlich als Ankläger auf, machte das Verfahren in kürzester Zeit fast guttenbergartig populär und ließ sich am Ende, da das Verfahren drohte zu platzen, zu einem Kuhhandel hinreißen: Weniger Strafe als für die Straftat angemessen forderte sie im Schlussplädoyer. Prominentenbonus nenne ich das. Tatsächlich aber ist die Staatsanwaltschaft in der BRD niemals parteilich. Sie muss belasten, wo belastet werden kann, und sie entlastet, wo es Entlastungspunkte gibt.

Anderes Agieren, wie kürzlich beobachtbar, zeugt von dem tiefen Wunsch nach amerikanischen Verhältnissen, in denen Staatsanwälte wie Stars auftreten und nur für die Anlage zuständig sind. In denen Staatsanwälte durch Verfahren mit Prominenten Karriere machen können. Ich hoffe inständig, dass jener Mannheimer Staatsanwalt erst einmal Demut lernt, bevor er Karriere machen darf.

Eine ebenso unrühmliche Rolle spielte Alice Schwarzer. Sie ließ es sich nicht nehmen, für das prolligste, antiaufklärerische Boulevardblatt der Republik die Prozessbeobachterin zu spielen. Ein Blatt, in dem die oberste Qualität und besten Argumente einer jeden Frau pralle Brüste und dümmliche Sprüche sind. Und schlimmer noch, dass sich mit Frau Schwarzer eine Feministin gefunden hat, die sich zur Vorverurteilung hinreißen ließ und diese in besagtem Tittenblättchen publik gemacht hatte.

Da ist die Frage, ob eine Feministin nicht einen solchen Fall aufgreifen soll, wo sich Gewalt von Männern gegen Frauen auch nur vermutlich offenbart. Diese Frage kann ich mit einem klaren JA beantworten. Eine Feministin wie Frau Schwarzer muss sich dieser Sache annehmen und eine öffentliche Debatte anregen. Aber nicht auf diese Art und Weise, wie sie es getan hat. Frau Schwarzer muss sich nun selbst fragen, was ihre Kommentare zum Prozess tatsächlich zur Verbesserung für die Opfer sexueller Gewalt beigetragen haben.

Sie hat es lediglich geschafft, darzustellen, wie ohnmächtig die Opfer sind, wenn es um die Verurteilung der Täter geht. Das ist nicht ermutigend. Hätte sich Frau Schwarzer nicht vom kurzen Wiederaufleben ihres Ruhms blenden lassen, hätte sie besser dafür geworben, dass Frauen direkt nach der Tat einen Arzt aufsuchen und zur Polizei gehen. Dies hatte das vermeintliche Opfer im Fall Kachelmann verständlicherweise nicht tun wollen. Trotzdem ist es wichtig!

Außerdem müssten Ärzte wie Polizisten endlich umfassend sensibilisiert werden für den Umgang mit vermeintlichen wie tatsächlichen Vergewaltigungsopfern. Es ist tatsächlich so: Wer zur Polizei oder zum Arzt geht, will erst einmal ernst genommen und nicht abgewimmelt werden. Oder gar belehrt. Dieser notwendige Gang ist demütigend. Erst wenn das verstanden wurde, kann die Hemmschwelle für eine zeitige Anzeige herabgesetzt werden und die Möglichkeit der Täteridentifizierung wäre gegeben. Dafür hätte Frau Schwarzer werben können. Hat sie aber nicht.

Frau Schwarzer hätte zusätzlich eine gesellschaftliche Diskussion über das Wesen der Gewalt, auch die der sexuellen, anregen können. Hat sie aber nicht. Sie hätte darüber debattieren können, dass sexuelle Gewalt auf Macht und nicht auf Lust basiert. Sie hätte die Warenförmigkeit der Sexualität herausstellen können, die ganz klar an kapitalistische Besitzverhältnisse gekoppelt ist. Sie hätte auf die Bedrohung jedes emanzipierten Wesens hindeuten können, wenn in der Sprache Wendungen wie "Du gehörst zu mir" oder "Mein Mann/ meine Frau" benutzt werden. Diese an sich harmlosen Wendungen bekommen einen anderen Charakter, wenn eine Beziehung auf Macht und Ohnmacht basiert.

Der Fall Kachelmann hatte so einiges zu bieten und wäre unter anderen Umständen sehr lehrreich, vielleicht sogar hilfreich gewesen. Leider wurden sämtliche Chancen verspielt. Schlimmer noch: Im Grunde wurden alle Positionen durch ungerechtfertigte Unterstellungen zusätzlich gesellschaftlich zementiert. Und dies nur zugunsten der eigenen Eitelkeit. Ein Mario Barth hätte es nicht besser hingekriegt. Vielen Dank!

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