Sonntag, 26. Oktober 2008

Kulturhauptstadt werden wollen! Aber Schiller aus der Stadt buhen!


So so, Mannheim will also "Kulturhauptstadt Europas" des Jahres 2020 werden? Na, da ist es ja noch ein bisschen hin, was? Kann sich noch was tun, hmm? Denn was Mannheim zur Zeit nun ganz genau mit Kultur zu tun hat, ist nicht restlos geklärt! Mal überlegen: Es gibt ein Nationaltheater, eine Oper, zwei bis drei Museen und drei Kulturfestivals, wovon eines Mannheim nicht alleine gehört: Die lange Nacht der Museen nämlich. Dann gibt es ja noch die privaten Stiftungen und einige Galerien. Ist ja schon was! Kostenpflichtig immerhin, aber was soll's!

Nun, Mannheim hat ja ein besonderes Verhältnis zur Kunst. Immerhin brachte die Stadt das Kunststück fertig, Genies wie Schiller aus der Stadt zu buhen, nur um ihn sich später im Rahmen der Schillertage wieder einzuverleiben. Was wäre Mannheim ohne Schiller? Eine Stadt ohne Bedeutung! Was wäre Schiller ohne Mannheim gewesen? Ein glücklicherer Mensch, könnte man denken!

Sobald man den Kulturbegriff etwas erweitert, also der oben genannten Hochkultur etwas hinzufügt, wird es schnell eng. Klar, Popmusik hat hier Tradition, freie KünstlerInnen und Kunstvereine (die sich überwiegend selber finanzieren) gibt es auch ein paar. Das alles, nennen wir es prekäre Kunst, wird allerdings auf ein paar Wochenenden im Jahr reduziert und zusammengepackt, wie neulich der "Nachtwandel" im Jungbusch, sozusagen in einem Abwasch erledigt. Aber: Was passt ihm denn sonst noch nicht in den Kram, dem Herrn Karst?

Also, wenn Sie mich so fragen, lieber Text: Mir passt es ganz und gar nicht, dass die Kultur hier noch dazu so teuer ist. Das ganze Jahr lang jammert man über das Prekariat und seine Kinder, weil die dauernd vorm Fernseher sitzen und in ihre Kissen pupsen, statt dass sie am kulturellen Leben teilhaben. Und dann sollen sie noch ordentlich Asche dafür abdrücken. Ein Sozialticket gibt es ja nicht, nur die Alten und die ganz Jungen dürfen allerhöchstens mal vergünstigt irgendwo rein - was offenbar aber immer noch zu teuer zu sein scheint!

Insbesondere ist die Engelhorn-Reiss-Stiftung nicht zu verstehen, wenn sie überhaupt Eintrittsgelder verlangt. Ist es der Zweck dieser Stiftung, ausschließlich ihrer betuchten Kundschaft etwas zurückzugeben, und die pekuniär und sozial Benachteiligten drücken sich die Nasen platt? Und ist es nicht die Aufgabe von Staat und Kommune, von den eingenommenen Steuergeldern kulturelle Vielfalt zur Verfügung zu stellen, und zwar umsonst für jedermann? Wie war das nochmal mit dem Bildungsstandort Deutschland?

Das Einzige, was sich in Deutschland bildet, ist eine Zwei-Klassengesellschaft: eine, die Zugang zu Bildung und Kultur hat, und die andere mit den 128 TV-Kanälen und Multifunktions-Fernbedienung. Ausgerechnet die Deutsche Bahn hat's vorausgeseh'n und schon 1964 ein Zweiklassensystem eingeführt - freilich nur, um die dritte und vierte Klasse abzuschaffen. Damit hat die Bahn, diese Schlawinerin, jahrzehntelang geschickt ihre Rolle im Dritten Reich vergesssen lassen.

Die Bahn musste daraufhin unfreiwillig eine Ausstellung über eben diese Rolle über sich ergehen lassen, und das in ihren eigenen Räumen und für umme. Und das ist eben der Punkt: Bildung und Kultur müssen den Staat, die Länder und Kommunen zwar einiges wert sein. Doch darf es niemals vom Portemonnaie abhängig sein, diese Kultur goutieren zu können. Man stelle sich vor: Horden von sonst vor sich hin gammelnden Jugendlichen überwinden ihre Langeweile und besuchen zum Spass und Zeitvertreib ein Museum. Und entdecken dort, ganz ohne Lehrer, eine neue Welt.

Der ALG2- Empfänger, Totalversager vom Dienst und Überlebender von Jobcenters Gnaden, findet endlich etwas Ruhe bei einem Konzert oder bei der Betrachtung eines Gemäldes. In seine Meditation vertieft findet er zwar nicht plötzlich eine Arbeit, doch vielleicht wenigstens etwas Trost und einen Rest von Selbstwert. Welche Menschen sind hart(z)herzig (höhö) genug, ihm das zu neiden?

Tja, vielleicht sollte Mannheim versuchen, "Kulturhauptstadt der Herzen" seiner EinwohnerInnen zu werden. Tatsächlich schafft die Stadt mit dem "Nachtwandel" im Jungbusch oder der "Lichtmeile" in der Neckarstadt ja was ganz besonderes. Und die "Lange Nacht der Museen, nun ja, sie ist vielleicht etwas zu groß geraten mittlerweile: Ein Tag hat ja nur 24 Stunden, wie soll das denn gehen? Im gesamten Delta Kulturgüter betrachten müssen, nur damit sich die 18 Euro Eintritt irgendwie rechnen?

Warum ist die eigentlich nicht umsonst? Mal ehrlich: Die Flyer könnten die beteiligten Städte besorgen, die Rumfahrerei die Verkehrsbetriebe sponsern und die Eintritte könnten die Galerien und Museen übernehmen. Und die lieben Leute von Deltamedien organisieren alles und lassen sich das von ihrem Biersponsor als Entschädigung für ihr miserables Bier entlohnen. Es gilt: Wer will, das Onkel Fritz und der kleine Mahmoud sich auch mal blicken lassen, der darf die Schwelle pekuniär nicht zu hoch hängen. Will man denn?

Lieber wäre es den MannheimerInnen bestimmt, wenn etwas kleinere Aktionen öfter im Jahr stattfänden, statt drei große und unüberschaubare Festivals, zwei davon im Herbst, zu organisieren. Denn was treibt der kulturinteressierte, doch weniger betuchte Teil der Mannheimer in den restlichen 49 Wochen des Jahres? Schon GEZ gezahlt?

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