Und als hätte ich in meinem letzten Post, der vor der grassierenden Dummheit all around warnt, irgendwie die nahe Zukunft erahnt, da ist es mir endlich passiert: Ich wurde heut' dahin geschickt, wo ich herkomme: ins Wessiland! Ich bin ein Opfer von Fremdenfeindlichkeit geworden, freilich in der Version "Light". Ich habe womöglich Kiezverbot oder sogar Bezirksverbot für ganz Treptow erhalten. Ich weiß es nicht genau. Vielleicht gilt das Hausverbot auch für den gesamten Osten. Da bin ich noch unsicher. Die Zukunft wird es zeigen.
Zuvor muss ich sagen, dass mir persönlich Herkunft und Geschlecht einzelner Personen herzlich egal sind. Es zählt alleine, ob jemand ein Idiot ist oder nicht. Aber dies ist eine Eigenschaft von geschulter Unvoreingenommenheit, und sowas fällt vielen Menschen schwer. Schubladen sind vielleicht einfach zu systematisieren. Im Dschungel bringen sie jedoch nicht viel.
Doch der Reihe nach: Ich gehe so meines Weges und muss einem Baum ausweichen, mit dem sich die Bodenplatten den Gehweg teilen müssen. Schließlich verfüge ich über physikalische Grundkenntnisse und weiß, dass zwei Gegenstände zur selben Zeit nicht am selben Ort existieren können. Auch in Treptow nicht.
Leider akzeptiert dies der Radfahrer, der mir in diesem Moment entgegenkommt, nur bedingt, so dass er nur widerwillig einen wirklich kleinen Haken fährt, um mir dennoch bedrohlich nahe zu kommen. Quasi um mich zu belehren. Er hätte auch einen etwas größeren Haken fahren können. Platz gab es genug. Man kennt dasselbe Verhalten ja schon von vielen Autofahrern. Trotzdem oder gerade deshalb erübrigt sich jedes Wort und ich gehe tonlos weiter.
Doch nun erschallt von hinten eine Schimpfsalve: Du blöder Wichser! Arschloch! Und nun drehe ich mich doch um und frage neugierig geworden hinterher: Wichser? Warum nennst Du mich einen Wichser? Diese Frage bringt ihn zum Anhalten. Er kuckt ein bisserl dämlich, hat wohl nicht mit einer Reaktion gerechnet. Ich frage erneut: Ich möchte wissen, warum Du mich einen Wichser nennst! Ich gehe auf ihn zu, bis ich ihm von Angesicht zu Angesicht stehe. Er stellt sein Rad ab. Ich wiederhole die Frage.
Der pummelige, prollig besonnbrillte Radfahrer fühlt sich absolut im Recht. Er nimmt eine bedrohliche Haltung an, die ich routiniert ignoriere. Nicht eingeschüchtert sein bringt Idioten aus dem Konzept. Ich rieche seinen schlechten Atem. Schließlich sei ich ihm in voller Absicht vor das Rad gelaufen. Nur um ihn zu provozieren, bellt er. Ich hätte ihm aus dem Weg gehen müssen. Ich kläre ihn über den Sachverhalt auf: Erstens ist er mir vor die Füße gefahren. Und wenn er Probleme mit Fußgängern als solchen hat, dann muss er eben auf der Straße fahren.
Weder bin so lebensmüde, dass ich mich mit voller Absicht vor ein Fahrzeug werfe, noch bin ich jemand, der noch nie mit dem Fahrrad auf dem Gehweg gefahren ist. Meistens ist der Straßenbelag so schlecht, dass die Schrauben freiwillig aus dem Rahmen fallen, Einzelteile auf die Straße kullern und Hämorrhoiden platzen. Ich kann das verstehen, wenn einer auf den Gehweg ausweicht. So weit so gut.
Ich kann nicht verstehen, wenn jemand auf dem Gehweg radelt, obwohl die Straße einen super Belag hat und nur wenig Autoverkehr herrscht. Doch sei's drum, er wird schon seine Gründe gehabt haben. Aber ich darf schon erwarten, dass ich als Fußgänger ungefährdet meinen Weg fortsetzen kann, sogar Hindernissen ausweichen darf und dass der "stärkere" Verkehrsteilnehmer wenigstens etwas Rücksicht nimmt. Das ist eigentlich Minimalkonsens.
Es ist schnell klar, dass ich der Spießer bei der ganzen Sache bin. Es spielt keine Rolle, ob mich besagter Radfahrer ggf. schon im Vorfeld abgeurteilt hatte und daher jede mögliche Verhaltensweise aus seiner Sicht falsch gewesen wäre. Er hat gesehen: einen Wessi, noch dazu in ortsunüblicher Tracht. Ich vermute denselben Reflex, mit dem manche (Neu-)Berliner Touristen aburteilen. Oder sagen wir es so: Meine Mutter hat den Lärm der Nachbarn nicht richtig hören können. Da hat sie ein Fenster aufgemacht, und schon konnte sie mit Grund belfern.
Trotzdem: Die Argumente fehlen dem armen Idioten, die Rechtslage steht zu meinen Gunsten. Die bedrohliche Haltung weicht allmählich. Die Strategie muss also geändert werden. Nun bleibe ich zwar Wichser, hinzu kommen aber Wessi und Spießer. Ganz offensichtlich das Schlimmste, was einer sein kann. Diese Kombination hat hier, in Treptow, nichts verloren. Weil ich nicht bereit bin, für jeden Heini oder Horst augenblicklich zur Seite zu springen. Denn das muss man seiner Meinung nach als Wessi tun, wenn man sich hier bei ihm, im Osten, aufhalten will.
Ich halte von Chauvinismus überhaupt nichts, und von der Sorte schon gar nicht. Doch "... so einen brauchen wir(!) hier nicht!" "Geh dahin zurück, wo Du herkommst." Tja! Wenn ich nur wüsste, wo das sein soll? Friedrichshain? Da komme ich gerade her. Neukölln? Ja, da gehe ich hin. Aber erst, wenn ich Lust dazu habe und nicht, weil mich jemand dazu auffordert. Wo wir hinkommen, wenn sich einfache Rowdies zu Blockwarten aufspielen, haben wir(!) ja schon erlebt. In beiden Regimes.
Was muss der Sozialismus diesem Menschen angetan haben? Wenn der ihn überhaupt bewußt erlebt hat. So alt isser ja nicht, mein Freund, der Idiot. Anfang dreissig? Immerhin legt er doch so viel Wert auf seine Ostidentität, indem er andere des niedrigen Wessitums bezichtigt. Oh! Jetzt hab' ich's: Der Kapitalismus hat sein Leben zerstört. Und Westdeutsch = Kapitalismus. Schon klar! So einfach ist die Welt. Ich kann's kaum fassen. Ich habe ihn selbstredend der Fremdenfeindlichkeit bezichtigt, was faktisch richtig ist. Dabei ist es unwesentlich, ob ich tatsächlich fremd bin. Er hat mich für einen Fremden gehalten und mich demenstprechend angegangen.
Für einen kurzen Moment wünsche ich ihm die Massen an Zugezogenen und Touristen, die gerade Neukölln bevölkern, an den Treptower Hals. Da hätte er wenigstens den ganzen Tag zu tun: Vollbeschäftigung. Doch die Armen können ja nichts dafür, dass sie nicht beliebt sind. Sie sind lediglich der Sündenbock für eine verfehlte Stadtplanung. Die Frage ist eher: Kann man den Neuberlinern solche Volltrottel zumuten? Es bleibt zu hoffen, dass es sich hierbei um einen Einzelfall handelt. Fast hätte ich Einzeltäter gesagt, in ostdeutschen Gemeinden ein Euphemismus für Nazikader.
Eigentlich hätte ich dieser Flachzange eine in die Fresse hauen müssen. Leider hat er überhaupt keine Anstalten gemacht, die eine solche Aktion vor dem Gesetz gerechtfertigt hätte. Schade. Ich hätte wirklich gerne gewusst, ob's hilft. Denn Argumente tun es ganz offensichtlich nicht. Dumme Menschen fordern nun mal nicht den Intellekt, sondern den Barbaren im Menschen heraus. Kluge Menschen wissen, dass sie sich bei der Kommunikation an ein gegebenes Niveau anpassen müssen.
Es befriedigt allerdings nicht besonders, der Dummheit mit den falschen Mitteln begegnet zu sein. Ob man es glaubt oder nicht: Die Dummheit der anderen stimmt mich eher traurig. Die eigene Dummheit hingegen beschämt mich. Ich erkenne sie stets selbst und schweige still. Aber: Jeder Dumme, der dumm geht, lässt einen Gescheiterten zurück. Man muss die Dummen wohl mit Gewalt missionieren. Erst wenn sie reflexhaft vor den Folgen ihrer Stupidität zurückweichen lernen, kann die Vernunft sich einen Weg durch das Dickicht des Blödsinns bahnen.
Trotzdem verlaufen solche Konfrontationen stets gewaltfrei. Obwohl ich natürlich provoziere, wenn sich ein Depp als ebensolcher zu erkennen gibt und darauf beharrt, ein Depp zu bleiben. Ich glaube, Menschen können mich schlecht einschätzen und wissen daher den Ausgang einer Auseinandersetzung nicht richtig zu berechnen. Außerdem scheint selbst ihnen bewusst zu sein, dass ihr Verhalten zwar keineswegs korrekt gewesen ist, sie aber aus "Stolz" in ihrer ungünstigen Position verharren müssen.
Zudem verfüge ich über ein sicheres, ruhiges und kühles Auftreten. Ich bin nicht klein, fast sogar ein wenig muskulös. Am meisten verunsichert Idioten schließlich die Tatsache, dass ich mich selbst nicht richtig einzuschätzen weiß (mangels "Kampferfahrung"), aber gleichzeitig signalisiere, dass mir das im Ernstfall völlig egal ist. Möglicherweise aber halten sie mich lediglich für einen Idioten, der es nicht wert ist, sich die Hände an ihm zu beschmutzen. Das wäre zweifellos unschmeichelhaft und zeugte dennoch von mangelndem Reflexionsvermögen.
P.S. Schade. Die besten Sätze fallen einem ernst hinterher ein: "Tut mir leid. Es war mein Fehler. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass Du ein Idiot bist, ich hätte erst gar nicht versucht, mit Dir zu reden."
P.P.S. Außerdem ist interessant zu beobachten, wie es Passanten angesichts einer solchen Situation schaffen, auf Autopilot zu schalten und so zu tun, als würde 50cm neben ihnen gar nichts passieren. Und das ist leider nicht nur im Osten so. Eine solche Feigheit aber ermöglicht Diktaturen. Schon alleine deshalb kusche ich nicht vor Leuten, die für sich das Recht des Stärkeren beanspruchen. Aus Prinzip!
3 Kommentare:
Elendes Radfahrergesindel!
Naja, wie gesagt: Es ist mir egal, wo jemand herkommt und was für ein Geschlecht er hat (und was er fährt). Hier ging es um einen ganz speziellen Idioten, der zufällig Rad gefahren ist. Zu Pauschalisierungen neige ich eigentlich nicht. Ich dachte, ich hätte das sorgfältig beschrieben.
Trotzdem ist es eine heftige Erfahrung, so feindselig taxiert zu werden, und dies nur aufgrund von Vorurteilen und völlig ohne Anlass (bzw. von einer falschen These ausgehend). Da regt sich Widerstand in mir.
Ja, das kommt rüber. ^^
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