Gestern war FarmerBoy mal wieder in der Neckarstadt unterwegs. Sich ans Ufer setzen, das war sein Plan. Ein Buch lesen, und zwar "Saumlos" von Peter O. Chotjewitz. Sein Protagonist kommt Ende der 70er zurück in den hessischen Ort Saumlos und recherchiert dort das Verschwinden der jüdischen Einwohner. Spannendes Buch das, weil sich die Frage nach dem Verbleib der Juden nach dem 2. Weltkrieg ja nun jedes Dorf und jede Stadt stellen müsste, dies aber nur selten getan wird.
Und selbst wenn: FarmerBoy erinnert sich an den Ort Alsbach, als die örtliche Jugendförderung anfang der 90er Jahre urplötzlich zum Feind der Gemeinde wurde, weil sie es für bildungsrelevant hielt, Jugendliche die Geschichte ihres Dörfchens recherchieren zu lassen, insbesondere die während des 3. Reiches. So kann man sich auch heute noch Ärger einhandeln, wenn man mit dem Finger in den kaum verheilten Wunden herum stochert.
Mit diesen Gedanken geht FarmerBoy an der alten Feuerwache vorbei, wo einige Leutchen mit weißer Sprayfarbe Namen auf den Boden sprühen. Eine ganz ordentliche Menge von Namen, und den ersten, den FarmerBoy entziffern kann, ist A. Rosenberg. Holla, denkt sich FarmerBoy, Alfred Ernst Rosenberg, das ist doch dieser Chefideologe der Nazis, der 1946 verurteilt und hingerichtet wurde. Auch Rudolf Steiner, der Antroposoph, ist namentlich vermerkt. Steiner wird heute wegen seiner Rassenideologie und seinen Einlassungen zum Judentum eher in die Nähe von Nazis gerückt als zum Opfer stilisiert.
Sind die Leutchen an der Feuerwache NPD- Kader, die an ihre Märtyrer erinnern wollen? Oder soll die Aktion im Gegenteil vor braunem Gedankengut warnen? FarmerBoy spricht die Leutchen an, und es stellt sich heraus: Die Namen werden zur Erinnerung an die Mannheimer Bücherverbrennung am 19. Mai 1933 auf den Boden gesprayt. Und A. Rosenberg ist schlicht Arthur Rosenberg, jüdischer Namensvetter des Nazis und "Volksdeutschen" Alfred Rosenberg. Bloß den Namen "Steiner" findet FarmerBoy nicht auf der sog. Schwarzen Liste.
Die Bücherverbrennungen in Deutschland wurden indes nicht implizit vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda organisiert und durchgeführt, sondern waren ein Akt vorauseilendem Gehorsams. Der Berliner Bibliothekar Dr. Wolfgang Herrmann erstellte ohne Auftrag, dafür mit viel Enthusiasmus, ein Verzeichnis mit auszusondernden Schriften. Die Deutsche Studentenschaft (DSt) allerdings war mit der Organisation der Bücherverbrennung betraut und plünderte daraufhin die Bibliotheken und Buchhandlungen 'tschlands.
Der Geist der Aufklärung war bei Studenten noch nie besonders ausgeprägt gewesen, denkt FarmerBoy bei sich und erinnert sich dabei seiner KommilitonInnen. Deutsche Studenten waren schließlich für die Gründung der deutschen Nation verantwortlich, und ihre Rolle bei der Reichsgründung ist nicht zu unterschätzen. Die DSt ließ sich auch hier bereitwillig einspannen und verbrannte die Bücher offensichtlich ganz alleine, ohne jede Mithilfe der MannheimerInnen. Denn heute mag sich kein sogenannter Zeitzeuge mehr erinnern, wo dies genau passiert ist. Irgendwo am Neckarufer jedenfalls. Aber Zeitzeugen melden sich stets nur, wenn es Opfer zu beklagen gibt oder man A. Hitler persönlich habe dienen dürfen, voller Stolz selbstredend.
Die MannheimerInnen indes waren damals schwer damit beschäftigt, die Juden vor dem Unmenschen Hitler zu beschützen. Denn es wurde gemunkelt, dass der böse Hitler, ganz alleine und ohne jede Hilfe, mit der von ihm alleine gebauten Reichsbahn die Juden Deutschlands höchst selbst in die von ihm zuvor gebauten Konzentrationslager verbrachte und sie eigenhändig tötete. Sein Kumpel Goebbels hatte einen Schnupfen und Alfred Rosenberg wurde aufgrund einer Namensverwechslung aufgehalten: Ein Fan wollte sich den ihm fälschlicherweise zugeordneten Titel Der Faschismus als Massenbewegung: sein Aufstieg und seine Zersetzung, Karlsbad 1934 signieren lassen.
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