Nun ja, irgendwie war ja früher alles besser: Wenn man in Neukölln unterwegs sein wollte, gab es genau zwei Kneipen und ein Cafè, das man besuchen konnte. Wer Abwechslung suchte, der musste halt nach Kreuzberg oder sonstwo hin. Oder nach Treptow. Man kam wenigstens noch raus aus dem Kiez.
Dann zieht man mal für drei Jahre weg, kommt wieder, und alles ist anders: Es reiht sich Kneipe an Kneipe, oder sollte man besser sagen: Bar an Bar. Ist ja eigentlich nichts Schlechtes, die Auswahl erhöht sich, sollte man meinen. Leider sind jene Bars samt und sonders Klone einer noch auszumachenden Stammzelle anderer Bezirke bzw. Szenekieze innerhalb Berlins.
Die Wände sind stets vom Putz befreit und das Inventar wurde teuer beim Spezi-Trödler mit 70er Jahre Affinität besorgt. Ein paar innovative Details wie zum Beispiel die Plastik-Kinder-Badewanne als Dämmerleuchte, bringen etwas originären Charakter in die Sache. Auch dies: 1000mal besser als das offenbar direkt beim Gaststättenverband erworbene Gelumps in den Kneipen der Restrepublik.
Was wirklich stört, ist die Dreistigkeit der Wirte in der Preisgestaltung. Die Wirte sind die wahren Gentrifizierer der schönen alten Bezirke Berlins. Sie ziehen die von Vatis Gehalt zehrenden Studenten-Praktikanten-Kreativen magisch an, allesamt bemützt und bebärtet oder berockt und geschminkt, wearing casual und H&M. Schlabberjeans meets Pali und bedrückende, weil bedruckte Shirts, von mir aus Jackets, dies für die Männer. Die Frauen: besser gekleidet, aber darinnen ähnlich belanglos!
Die Kundschaft also, Direktimport aus den Provinzen, findet es selbstredend toll, Bier unterhalb der 3 Euro 50 Marke vorzufinden und bestellt sich eben eines für dreizwanzig. Ganz super! Meinesgleichen findet dreizwanzig für ein Bier auch irre, und zwar irre teuer. Was müssten die Augen der StuPraKreas leuchten, wenn sich hier in NeuNeukölln AltNeuköllner Preise durchgesetzt hätten? Sei's drum, sie zahlen's ja auch so. Ich aber fühle mich jetzt schon verdrängt von den reichen StudentInnen und frage mich, ob ich fürderhin Eckkneipen besuchen muss, wenn ich mich einmal betrinken mag.
Was denn wirklich toll zu finden war hierzuorten, nämlich die offen heterogene BesucherInnenStruktur - Alter, (soziale) Herkunft, (soziales) Geschlecht - sucht man neuerdings vergebens. Man bleibt unter sich. Dasselbe Alter, diesselbe Mode: Hier ist nichts natürlich gewachsen, hier wurde durch unablässiges Kiezmanagement aufgepfropft: eine Gute-Nacht-Kultur ganz wie eine jüdische Siedlung mitten in Feindesland. Hübsch anzusehen, aber irgendwie fehl am Platze. Eine zur Simon-Dach-Straße geronnene Behauptung des Nachtlebens.
Und so kann man auch nachvollziehen, warum die gestrige Veranstaltung KunstReuter nicht so recht funktionieren wollte: Denn wo sich nun Bar an Bar reiht, fehlt der Raum für StandUpGalerien. Vorher standen die Räume leer, man konnte sie für lau mieten und hatte daraufhin volle Gestaltungsmacht. Heute muss man den Wirt überzeugen. Wie anstrengend darf Kunst noch sein, wenn der Wirt Umsatz machen möchte? Also blieb die Kunst gefällig und sprach auch nicht an. Allein, sie stellte die Frage nach dem Wert einer Ausstellung überhaupt.
Doch über den Wert und den Charme einer in der Kneipe stattfindenden Ausstellung braucht man sich nicht zu unterhalten. Es soll ja getrunken werden und auch gespeist. Schauen kann man hinterher oder während dessen. So wie daheim, beim Speisen vor dem Fernsehgerät. Friss und schau zugleich: HmmSchmatz! mjo, das Bild ist Rülps! ganz hübsch Grunz! Mir fehlt's aber Schlürf! etwas an Aus- Ronch! druckskraft. Schalt mal Börps! um und reich mir den Salat dort hinten am Artwork-Tresen und was vom Schinken Hüstel! Börps! dort hinten auf der Skulptur Röchel!
So wird das aber nix mit dem Kunststandort Neukölln. Kunstsammler neigen eher dazu, sich die Werke in Ruhe anzuschauen. Sie gehen hinterher Essen. Das ist noch nicht einmal eine Stilfrage.
Übrig bleiben noch ein paar kleinere Galerien, die teilweise ganz ordentliche Sachen ausstellen. Aber auch sie leiden vermutlich sehr unter dem zunehmenden Hipster-Tourismus. Wem sollen sie hier auch was verkaufen? Eigentlich müsste alles so werden wie in der Bergmannstraße: ÖkoKarrieristInnen essen gesund und parkettieren den Boden ihrer Eigentumswohnungen oder Haushälften.
Wenn sie hinterher den Tofu eingelegt haben, trinken sie noch ein Gläschen Biowein, naschen etwas vom Importkäse und besuchen dann eine Ausstellung. Oder sie gehen ins Theater. Nur wenigen unter ihnen aber würde ein Trip in den Reuterkiez in den Sinn kommen. Warum nur?
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