Sonntag, 9. November 2014

100 Jahre Einheit (respektive Reichspogromnacht)! Herzlichen Glückwunsch, Bunzreplik, Du geile Sau!

bunt, süß und kalt: Der "neue" Kapitalismus!
Wir gedenken unseren Ground Zeros, unseren 9.11. nach europäischer Zeitrechnung. Nach diesen Tagen war nichts mehr wie so wie vorher: 1938 und 1989 - welch schicksalhafte Jahre, welch schicksalhafte Tage! Hier ein kurzer Abriss der Ereignisse:

Wo ich war? 1938 genetisch schon angelegt in den Hoden meiner Großväter, habe ich mit der Reichspogromnacht wohl wenig zu tun. Die Rolle meiner Großväter bleibt mir verborgen. Immerhin war der eine Gendarm und Mitglied der NSDAP. Das hätte ich nicht gedacht. Ich habe es aber erst nach seinem Tod erfahren. Es war bei ihm nicht so offensichtlich wie bei so manchem CDU- oder FDP-Politiker.

1989 war ich schon mündig und habe gewusst, dass die Einheit nicht umsonst zu haben ist. Ganz entgegen der Aussagen der sogenannten Einheitspolitiker. Heiner Geissler (CDU) hat's in den Raum gestellt und wurde deshalb kaltgestellt.

Nicht dass ich aus Kostengründen gegen die Einheit gewesen wäre. Aber auch eine demokratische Zweistaatenlösung wäre gut gewesen. Hat man der ehemaligen Tätärää nicht einfach unser Konzept der Demokratie übergestülpt? Ich denke schon! Dann aber denke ich es auch wieder nicht: Die Neudeutschen aus der Zone haben unseren rheinischen Kapitalismus nie kennenlernen dürfen. Nach dem Beitritt war der nämlich schon passé.

Der rheinische Kapitalismus war so urst gemütlich wie man es sich nicht mehr vorstellen kann heutzutage. Die Gewerkschaften waren damals noch auf der Seite der Arbeitnehmer! Es wurden regelmäßig Gehaltserhöhungen gefordert, und die Arbeitgeber haben nicht wie heute einfach Nein! gesagt.

Sie haben gesagt: Jein! Nicht so hoch jedenfalls! Keine 7 Prozent. Eher so 3! Wegen der Rezession. Oder wegen Wurst oder auch einfach so. Weil: Damals hatten manche Arbeitgeber noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie den guten Kaviar ganz alleine gegessen haben und ihre Arbeitnehmer Wurst aus der Dose essen mussten.

Da herrschte noch Anstand. Dann aber kam die Wende und Hitler, entschuldigung, Kohl, hat den sogenannten Runden Tisch erfunden. Und vorbei war's mit dem rheinischen Kapitalismus. Denn plötzlich saßen da alle Arbeitgeber mit Politikern an einem Tisch und haben sich gegenseitig Zugeständnisse gemacht.

Und wie das so ist, wenn sich zwei unter Ausschluss der wirklich Betroffenen gegenseitig Zugeständnisse machen, kommt dabei auch nur Gutes für alle Beteiligten raus: Die Politik hat die durch die Wende ganz arg gebeutelte Wirtschaft unterstützt und die Wirtschaft hat im Gegenzug in Aussicht gestellt, nicht allzu viele Leute zu entlassen.

In Wahrheit hat die Wirtschaft aber gar nicht die Kosten der Einheit getragen. Ganz im Gegenteil hat sie enorm davon profitiert. Die Kosten haben im Grunde so egale Leute wie Du und Ich getragen, aus dem Osten und aus dem Westen. So dumme Leute verdienen es allerdings nicht, eine Arbeit zu bekommen, geschweige denn eine gut bezahlte. Die schlauen Arbeitgeber hingegen konnten ihre Versprechen, die sie der Politik gemacht hatten, aus diversen Gründen irgendwie nicht so richtig einhalten, sonst... die Arbeitsplätze, Sie wissen schon... im Ausland ohnehin billiger... knick knack!

Nennenswerte Gehaltserhöhungen gab es nun nicht mehr: Entweder waren die Zeiten schlecht und kein Geld war da oder die Zeiten waren gut und es mussten Rücklagen gebildet werden für schlechte Zeiten. Es ist nie jemand auf die Idee gekommen, in schlechten Zeiten mittels Rücklagen Gehaltserhöhungen durchzusetzen. Hätte funktionieren können, stattdessen haben wir die Gürtel enger geschnallt.

Die Gewerkschaften haben schließlich begonnen, sich ganz auf die zu konzentrieren, die noch einen Job haben und einigermaßen bezahlt werden. Dabei haben sie alle anderen vergessen, die daraufhin weniger und weniger verdient haben und am Ende gar nichts mehr, weil es keine Jobs mehr für sie gab. Dann hat Hitler, entschuldigung, Schröder, Hartz IV erfunden und alles wurde wieder gut:

Seitdem arbeiten nämlich sehr viele Leute viel für wenig Geld und ein paar Leute arbeiten wenig für sehr viel mehr Geld. Und andere arbeiten gar nicht und haben so viel wie die Leute, die viel arbeiten. Da stellt man sich dann Fragen. Aber wegen der gelungenen Bildungspolitik unserer Bunzreplik halten alle nur noch durch und haben verinnerlicht, dass der beste Lohn immer noch die Arbeit selbst ist und die Anerkennung, die daraus resultiert.

Nur das Nötigste zu haben und nicht dafür zu arbeiten gilt hingegen als verpönt und unwürdig. Solche Leute beuten den Staat aus. Solide Bildungspolitik verhindert dabei, dass die Leute auf die Idee kommen, dass es der Staat und die Wirtschaft sind, welche alle anderen ausbeuten. Der Staat, das sind wir? Da müssen dann alle wieder lachen!

Damit sich Arbeit wieder lohnt, hat Hitler, entschuldigung, Merkel, dann den Mindestlohn erfunden. Der ist eine Zukunftsinnovation, weil er erst 2017 kommt (wahrscheinlich) und dann auch nicht für alle. Ausgenommen sind alle die, die auch schon heute weniger als den Mindestlohn erhalten. Das könnte irgendwie schon wieder putzig sein in seiner Verlogenheit!

Die Einheit ist nun vollbracht: Es wächst zusammen, was zusammen gehört! Keiner hat sich Träumen lassen, wie wenig alles zusammen gehört. Entsprechend findet sich Geld zu Geld und Armut wird geteilt und vererbt. Man könnte an H.G. Wells Zeitmaschine denken, an Morlocks und an Eloys, aber selbst in dieser Dystopie scheint die Welt gerechter: Wenn wir die Reichen doch wenigstens nach einer Weile einfach aufessen dürften!

Stattdessen läuft es so ab: Wohlgekleidete Menschen höherer Einkommensklassen sowie ein paar trächtige Mitteweibchen kommen zu einer Olivenölverkostung zusammen und tunken weißes Brot in die zugegebenermaßen wohlduftende Flüssigkeit. Dazu trinken sie einen Riesling aus zu großen Weingläsern und unterhalten sich ausschließlich über Güte und Qualität der Öle und deren Produktionweise.

Früher hat man den Herstellern diese Schrulligkeit gestattet, schließlich will man ja, dass schmeckt was sie herzustellen gedenken. Heute muss auch noch der Kunde zum Experten werden und sanft mit den Augen rollend Speiseöl goutieren, womöglich gurgeln und über den warmen Abgang und die leicht nussige Note dieses vorzüglichen Öls aus biologischer Herstellung raissonieren.

Ich habe es ungefähr zehn Minuten dort ausgehalten und habe mich dann verdrückt, ohne noch ein Foto zu machen. Gestern konnte ich es noch nicht erklären, was mich eigentlich mehr gestört hatte: das blasierte Getue der betuchten Gäste, der Hype um ein Lebensmittel, das esoterische, pseudophilosophische  Drumherum? Ich sagte mir: Du bist aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht so weit, an einer Speiseölverkostung Freude zu haben!

Heute denke ich: Ich bin innerlich einfach noch nicht tot genug, um mich nicht darüber aufzuregen, wenn erwachsene Menschen ihren Fokus auf etwas völlig Nebensächliches lenken und einem Speiseöl eine beinahe religiöse Bedeutung zugestehen, während sich in aller Welt Menschen auf der Flucht befinden, im Mittelmeer ersaufen oder gleich von einer Horde Irrer vor Ort ermordet werden.

Können Menschen, die völlig ernsthaft Brot ins Olivenöl stippen und darüber philosophieren, über ein politisches (Verantwortungs-) Bewusstsein verfügen? Die wählen doch bestimmt alle die Grünen! Woran erinnert mich das? Ach ja: Kunst setzt ebenfalls blasierte Vollpfosten frei, doch ist Kunst auch immer Ausdruck einer empfundenen Gegenwart und damit auch politisch. Öl hingegen ist doch nur politisch, wenn es aus der Erde kommt und man viel Brumm Brumm damit machen kann. Wo sind die Waffen, wenn man sie mal braucht?

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