Neukölln ist toll! Friedrichshain hingegen wird Ballermann-Tourismus vorgeworfen. Ich finde, diese Behauptung trifft voll und ganz zu: Von der Warschauer Straße bis nach Treptow und fast bis nach Kreuzberg erstreckt sich eine Partymeile, die man als gebildeter Mensch meiden möchte wie die Katze das Wasser!
Heute morgen gg. 6 Uhr habe ich meine Tochter zum ZOB gebracht und bin am S-Bahnhof Warschauer Straße massenhaft alkoholisierten und nach Clubranz riechenden Menschen begegnet, wahrscheinlich war kein einziger Seßhafter darunter. Der Weg war gesäumt von einem Mischgeruch aus Bier, Pisse und Erbrochenem. Es ist widerlich und ich habe mich sehr vor meiner Tochter geschämt, der ich erklären musste: In Neukölln ist es aber besser!
Während in Friedrichshain die jungschen Vollspackos unterwegs sind, die vorzugsweise aus der (ost-)deutschen Provinz zu kommen scheinen, also das übelste Pack, das man sich vorstellen kann, scheint in Neukölln der Mix aus mode- und kulturinteressierten, anders nervenden Touristen zu bestehen. Klar gibt es auch in Neukölln Clubcrawling und halbnackte, rotgebrannte Schmerbäuche, doch fallen die dort noch auf und damit aus der Rolle. Es sind zwei Welten!
In Friedrichshain denkt sich der Massentourist nichts dabei, auch des Nachts ganze Wohnblöcke wach zu klingeln, weil die Ferienwohnung, in der sich die jugendliche Bagage aus Hinterzutzelbach zu zehnt einquartiert hat, nicht für jeden einen Schlüssel bereithält. Hilft ja nichts, die Klingel abzustellen: Dann wird halt lautstark der Markus oder der Söhnke gerufen, der offenbar alleine in der Wohnung geblieben ist und bereits sediert ist, denn sonst würde der ja mal reagieren.
Was ich nicht verstehe: Wir haben es hier mit einer Generation zu tun, denen das Smartphone qua Geburt an die Stirn getackert scheint. Für jeden Blödsinn gibt es eine App. Warum greifen diese Dumpfbacken ausgerechnet zu solch altmodischen Mitteln wie "Klingeln" und "Rufen"? Das Problem ist: Man darf sie nicht einfach erschießen! Außerdem leben wir offenbar in einer Welt, in der es der Inbegriff der Spießigkeit zu sein scheint, wenn man dienstags um 4:28 Uhr nicht mit Kirmestechno in Open-Air-Lautstärke beschallt werden mag.
Ja, tut mir leid: Ich muss morgens ausgeschlafen sein. Meine Tochter hungert nach Unterhalt, da sind außerdem so leidige Verpflichtungen wie Miete und Essen. Da ist Arbeit angesagt. Nicht jeder hat Eltern, die einen aushalten, und irgendwann sterben die auch mal. Und wenn sie das Erbe nicht für's Altersheim aufgebraucht haben: Die wenigsten Erben können auf Dauer ein solch sorgloses Leben führen. Und die, die es können, feiern bestimmt nicht in Friedrichshain! Das ist auf die Restbestände der Republik abonniert, eine inzestuöse Melange aus Dummheit und Dreistigkeit.
Ja, ja: auch wir haben gefeiert! Und wir waren laut. Aber uns hat auch irgendwie Nachbarschaft noch etwas bedeutet sowie die Bedürfnisse anderer Menschen. Ich will es mal so sagen: Ich erlebe derzeit Dinge, die eigentliche Menschen als selbstverständlich erachten, die hätte ich in diesem Alter noch nicht einmal zu denken gewagt. Liegt es daran, dass zur Erziehung damals nicht nur Förderung, sondern auch Rücksichtsnahme gehörte? Wir haben es hier allerdings mit einer neuen Züchtung zu tun: Resistent gegen alles Soziale, selbstbewusst ohne jeden Grund und mit einer Intelligenz ausgestattet, die alle Ressourcen für das eigene Weiterkommen verbraucht.
Ich höre mich an wie meine eigenen Eltern. Das ist ja gar nicht lustig! Aber ich komme mir eben so seltsam fremdgesteuert vor, wenn alle Welt ihre Egoismen auslebt und ich eigentlich nur dann und wann meine Ruhe haben möchte und nicht darf. Und ich weiß natürlich, dass in Hinterzutzelbach spätestens um 22 Uhr Ruhe zu sein hat und dass das furchtbar öde ist und Berlin die Party bietet und mit all seinen Einwohner*innen ein großes Repertoire an dienstbaren Geistern hat... doch halt:
Nicht jeder Einwohner verdient sein Geld mit Tourismus! Und manche mögen es gar nicht, wenn ihnen dauernd abverlangt wird, zu jedem Blödsinn auch noch gute Miene machen zu müssen. Grundfreundlich ist man zwar, aber auch Hilfsbereitschaft hat seine Grenzen, besonders wenn man sich veralbert fühlt. Aber: Vielleicht wird Berlin demnächst so öde wie alle anderen Metropolen dieser Welt. Seine Anziehungkraft ginge damit endlich verloren. Der Senat und die Bauwirtschaft gehen ja seit Jahren stramm auf dieses Ziel zu und machen alles platt, was mal Initiative gezeigt hat. Vielleicht ist der Partytourismus ein Ergebnis dieser Politik: Gut ist nur, was Geld bringt?
Kultur kommt immer von unten und nie vom Geld, liebe Freunde! Meinetwegen darf Berlin diesbezüglich gerne interessant bleiben! Aber wie interessant ist eine endlose Strullerparty wie sie derzeit in Friedrichhain stattfindet? Wie interessant ist es wirklich, wenn sächsische Hausfrauen rund um die Uhr penetrant lärmen und ihre kahlrasierten, anabolikaverformten Männer die Grünanlagen vollpissen und die Eingeborenen verhöhnen, weil Berlin ja so schau lustig ist? Berlin ist kein Zoo und auch kein rechtsfreier Raum. Und die Stadt enthebt auch nicht von der Verpflichtung eines Restanstandes und vergibt auch keine Freibriefe für Barbarei!
So... uffff... da musste mal raus! Und wer mir nun mitteilen möchte, ich solle mich mal entspannen, dem rufe ich heiter entgegen: Entpannung geht wenn überhaupt nur auf Kosten anderer! Denn das ist ja mein ganzes Problem: Ich bin so nicht erzogen worden, und das ist auch gut so! Wer sich aber einfach zurücklehnt und Fünfe gerade sein lässt, tut dies alleine auf dem Rücken anderer. Denkt mal drüber nach! Wenn Ihr könnt!
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