Donnerstag, 3. Mai 2012

Die reine Notwehr! Kinder an die Macht?

Ich musste erst ca. 30 Jahre alt werden, bis ich endlich in Erfahrung gebracht hatte, dass elterliche Prügel nicht allgemeiner Konsens waren, sondern selbst zu meiner Kindheit recht selten vorkamen. Von all meinen Bekannten kenne ich nur zwei Personen, die zu ihrem eigenen Besten gezüchtigt wurden. Selbstverständlich tat es den Eltern mehr weh als den Kindern, schließlich standen sie ja unter enormem, gesellschaftlichem Druck. Kann man sich heute gar nicht mehr ausmalen. Meine Mutter sagt: Wir wussten es nicht besser!

Na denn, man hat jedoch eine Wahl. Ich darf mich rühmen, mein Kind nicht einmal geschlagen zu haben, obwohl Prügel für mich als Kind zur Normalität gehört haben. Irgendwie muss ich geahnt haben, dass es wohl doch nicht so gut ist, wenn man jemanden schlägt, ich weiß es nicht. Wenn ich jedoch ganz ehrlich bin: Meine damals fast zweijährige Tochter hat mich einmal im Zorn geboxt. Ich habe sie daraufhin leicht geschubst, und da fiel sie auf ihren gut gepolsteren Hintern. Das Geheule war groß. Aber es war die reine Notwehr, und hernach hat mich meine Tochter nie mehr geboxt. Waffenstillstand.

Trotzdem hatte ich während einiger ihrer unerklärlichen, endlosen Schrei- und Panikattacken das starke Bedürfnis, sie einfach aus dem Fenster zu werfen. Sie hatte die nervtötende Eigenheit aller Säuglinge, ihren weit klaffenden, lauthals schreienden Mund direkt an mein Ohr zu halten, egal wie herum ich sie hielt. Selbst wenn ich den Arm wechselte, der Kopf wandt sich stets meinen empfindlichen Gehörgängen zu. Aus reiner Hilflosigkeit hatte ich oft nur diesen einen Gedanken: Kind weg, Lärm weg, (aber auch) Freiheit weg: Guter Deal!

Der Trick dabei war jedoch, es nicht zu tun. Ich habe jedoch bis heute großes Verständnis für Väter und Mütter, die ihre Kinder getötet haben: Ich kann die Verzweiflung und Hilflosigkeit, die diese Menschen dazu treibt, wehrlose Kinder zu töten (meist im Affekt) gut nachvollziehen. Was nicht bedeutet, ich würde die Tat gutheißen. Sie kannten bedauerlicher Weise den Trick nicht. Wer hier nun entrüstet die Nase rümpft über solche Gedankengänge, ist ein selbstgerechter und vor allen Dingen unaufrichtiger Mensch.

Tatsächlich habe ich lange Zeit darunter gelitten, solche Gedanken zu haben. Ich schrieb sie der elterlichen Gewalt zu, die sich sozusagen weitervererbt hatte und nur darauf wartete, sich in mir voll zu entfalten. Erst als ich mit anderen Vätern und Müttern darüber gesprochen hatte, war ich beruhigt: Offensichtlich bin ich nicht völlig pervers, sondern gehöre zu einem zwar nicht repräsentativen, aber dafür recht liebevollen, halb perversen Haufen Mensch, der es sich zugesteht, auch einmal böse Gedanken gehabt zu haben und froh darüber gewesen zu sein, den Trick zu kennen, es nicht zu tun.

Warum ich das schreibe? Mir begegnen aktuell einige Menschen, vor allem Frauen, die sich schuldig fühlen, wenn sie ihrem Kind nicht ständig die liebevolle Aufmerksamkeit bieten können. Sind die Kinder unleidlich, haben sie schlechte Laune, echte Schmerzen oder sonstige Probleme, die es ihnen unmöglich machen, einfach nur mal nett zu sein, dann sollen Eltern trotzdem ungemindert ihren Dienst am Kind tun und dürfen keinen Moment an der Liebe zu ihrem Kind zweifeln. So ein Humbug!

Es ist ganz normal, sein Kind zu hassen. Vor allem, wenn es sich hassenswert zu verhalten beliebt. Ebenso normal ist es, sein Kind zu lieben. Die intensive Beziehung zu einem Menschen, egal ob zum Partner oder zum Kind, ist von einem Wechselbad aus Gefühlen geprägt. Alles andere ist emotionale Folklore, ein räudiges Knäuel aus Verlogenheit und Unaufrichtigkeit. Wir lernen aus der Ablehnung und Zusprache durch andere Menschen, uns innerhalb der Gesellschaft zu verorten. Erleben wir nur Zusprache, fehlt uns ein wichtiges Sensorium für die Bedürfnisse andere Menschen.

In diesem Sinne werden Kinder gefördert, ohne ihnen etwas abzuverlangen oder zuzumuten. Das elterliche Unterfangen, dem Kind alles zu ermöglichen, was es sich wünscht und alles auszuschalten, was es nicht wünscht, führt zu dreijährigen Erwachsenen, in deren Welt die Eltern nichts mehr verloren haben außerhalb ihrer Rolle als 24/7 Dienstleistungsgemeinschaft. Erstaunlich ist nicht, dass solche geförderten Kinder, wie sie Frau von der Leyen und Frau Schröder wohl waren, nun darüber befinden dürfen, wie die Eltern heutiger Kinder zu agieren haben. Erstaunlich ist vor allem, dass weite Teile der Gesellschaft diesem Diktat folgen möchte.

Geigen Sie Ihrem Kind mal öffentlich die Meinung: Es findet sich immer jemand, der meint, dass man mit einem Kind so nicht reden darf! Ach ja, aber das Kind darf das? In welcher Welt leben wir eigentlich? Es ist sicherlich gut, dass Kinder heute über ihre Rechte bescheid wissen. Ihre Pflichten bekommen sie schon noch früh genug von der dumpfen Leistungsgesellschaft eingeimpft. Aber Eltern sind ganz gewiss nicht die Prügelknaben der Kleinsten, und im Zweifelsfall (der immer auch ein Gefahrenfall ist) muss das Kind einfach spuren. Und nicht umgekehrt.

Ein paar Beobachtungen gelungener Erziehung: Kleinkinder, die ihre Eltern anherrschen, wenn sie für einen Augenblick nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen. Grundschüler, die maulen, wenn Papa ihnen nach der Schule nicht schnell genug die Schnürsenkel zubindet. Kinder, die ihren Eltern mit Liebesentzug drohen, wenn sie kein Eis bekommen. Alleinerziehende, die ihren Kindern Mitspracherecht bei der Partnerwahl einräumen. Eltern, die sich für ihr "Fehlverhalten" entschuldigen bzw. sich von ihren Kindern maßregeln lassen. Mütter, die ihrem (Klein)Kind geduldig und völlig ruhig erklären, warum es nicht gut ist, ein anderes Kind mit der Schippe zu hauen. Und dann traurig dreinschauen, wenn ihr Kind mitten im Satz weg geht. Und all das nur, weil man glaubt, sein Kind nicht gelegentlich hassen zu dürfen!

1 Kommentar:

mrs.hands hat gesagt…

also ich hab es mittlerweile als normal akzeptiert, dass ich ihn manchmal anschreie, wenn er todmüde ist, nicht schlafen will und deswegen vor lauter wut kreischt. das macht es nicht besser, aber manchmal ist man nun mal einfach so.
ich find es nur zum kotzen, dass es meinem mann nicht so geht. er findet das familienleben uneingeschränkt toll und liebt den kleinen jede sekunde des tages. vll hat er einfach nur mehr geduld als ich. für mich ist der kleine eigentlich nur arbeit. klar, sein lächeln ist zauberhaft und es gibt schöne momente. aber, ganz ehrlich? mein leben wäre auch ohne dieses lächeln toll.
na, mal sehen wo das ganze noch hinführt. mordphantasien hab ich übrigens nicht. eher den gedanken einfach meine tasche zu packen, die tür hinter mir zu schließen und nie wieder zurück zu kommen. letztens bin ich im traum wieder zurück nach kassel in meine alte wohnung gezogen. allein. herrlich...