Sonntag, 23. Mai 2010

Entspannt Euch, Ihr Stadtspinat! Pull Trigger: Click Kill Kill Kill!

Ach ist es nicht schön? Reinstes Frühlingswetter treibt uns hinaus, lässt uns irren in der Wahl der Kleidung (doch noch zu leicht, mein Rock und meine Bluse, ich friere, und die Härchen an meinen Armen stellen sich leicht auf). Wir erfreuen uns auch an der tendenziell steigenden guten Laune anderer Menschen. Mit nichts an als mit einem guten Buch setzt man sich also an ein sonnenbeschienenes Ufer oder auf eine Parkbank und lässt gut Ding lange Weile sein. Betrachtungen sind des Königs neue Kleider, und sie stehen ihm so gut, dass der König keine Ohrstöppsel braucht, um sich Gesehenes oder Gehörtes wegzudröhnen.

Derweil dieses hier geschrieben wird, sitze ich natürlich an keinem Ufer und auf keiner Parkbank, und selbstredend höre ich Musik, in diesem Falle die "Kolossale Jugend", altehrwürdige Band aus Hamburg, lange schon tot, aber mit jeder Silbe und jedem Ton die Wahrheit sprechend. Gestern Erlebtes will sich hier in die Zeilen drängen und schlägt mir zum Behufe desselben  eins in die Fresse, fingert mir ins Gesicht, Aufmerksamkeit erheischend: schreib schreib schreib, schreib Du Stadtspinat! Dieser Text ist keine Party!

Gestern (noch kein Krieg): Da sitze ich also alleine auf einer der großteils abgeschraubten Parkbänke am Paul-Linke-Ufer, diese Angeberpromenade mit all seinen satten Stinos und den achsokreativen, LUSTIGEN (weil bunten) jungen Austauschstudenten. Ich lächle zufrieden wie ein Buddha auf Drogen und bin recht froh. Wo soll ich sonst hin, wie sonst soll ich sein? Im restlichen Kreuzberg, Treptow und Neukölln ist der Kanal zugesperrt, die Mauer kommt zurück: Jetzt handelt es sich noch um einen Bauzaun, aber wartet nur...

Versonnen betrachte ich all die jungen und alten, auf alle Fälle aber ängstlichen, Muttis, wie sie ihre Kinderwägen schieben und sich alle paar Meter lang darüberbeugen, um nach dem Rechten zu schauen. Womöglich hat das Kind in den letzten Sekunden nun doch einen Sonnenbrand bekommen, oder es ist ihm plötzlich kalt, oder nicht vielleicht zu warm? Sind ihm möglicherweise Flügel gewachsen und es will der Mutter fliehen? Schnell, Schere heraus und zippzapp, Flügel ab. Frauen proben schon einmal die Rolle der Übermutter, um diese perfekt mimen zu können. Für den Fall, das Kind sollte doch einmal größer werden und einen eigenen Willen entwickeln. Deinen eigenen Willen sollst Du haben, mein Kind, solange es nur auch mein Wille ist!

Ja, da wachsen sie heran, die neuen Menschen: Sie brauchen später keinen Therapeuten, weil man versucht hat sie zu disziplinieren, weil man sie geschlagen oder nicht geliebt hat. Sie gehen zu Therapeuten, weil sie zu sehr geliebt wurden, so dass ihnen die Brust engt, wenn sie nur einmal selber ein- und ausatmen wollen. Sonst pressen ihnen die Eltern mit ihren starken Fangarmen ja die Luft heraus. Wie soll das denn überhaupt gehen, selber Atmen? Mami, wirf die Decke über mein Körperchen! Mami, setze das Helmchen auf mein Köpfchen. Mache mir Creme in mein Gesicht. Fahr mich, wohin Du willst mit Deinem Sicherheitspanzer und ummäntele mich mit Deinem Behüteponcho! Die Welt wird kalt genug sein, wenn Du stirbst dereinst.

Da beneide ich die Unterschichtenkinder! Keinen Zugang zu Bildung, aber auch keinen zur Verbildung. Einbildung. Ihnen läuft die Nase und mit ihnen andere verrotzte Kinder. Ihr Spielzeug ist die Straße. Ihre Eltern vernachlässigen sie. Ihre Eltern geben ihnen Freiheit. Ihre Eltern schenken ihnen ihre Nichtbeachtung. Ihre Eltern sind keine Eltern. Deswegen sind es vielleicht gute Eltern. Die Kinder sind lebendig. Sie haben keine Chance. Die Kinder der Bildungselite haben eine Chance. Man stopft sie jedoch zurück in den Mutterleib. Darinnen begraben, füttern die Mütter ihre Kinder durch den Spalt zwischen ihren Beinen.

Etwas später (Krieg): Welche Kinder werden zu amoklaufenden Jugendlichen oder Erwachsenen? Warum klingen die kleinsten Vögel hier draußen plötzlich alle nach den allergierigsten Rabentieren. Und warum ist das ehemals zarte Grün der Bäume mit einem Mal giftig, warum hat das Wasser im Kanal ein kaltes Herz? Heaven is a place where nothing ever happens. Der Himmel ist die Hölle. Mein MP3Player wird zur Waffe, im Magazin ist ausreichend Munition, um die Menschheit auszurotten. Setze Kopfhörer auf zwecks Schallschutz. Ich erchieße alle um mich herum mit Noten und Worten. Am Ende erschieße ich mich selbst, so wird es sein.

Das tumbe Pack kommt näher, ich ziele bereits darauf, ich befreie das Kind im Wagen, ich befreie auch das Kind im Bauch von seinen Bremsern und Verstümmlern. Sie sind so dumm, so instinktlos, und setzen sich direkt zu mir. Sie okkupieren mein Land und drängen mich hinaus, fremd auf der eigenen Bank. Sie scheinen nicht verwundbar zu sein durch meine Musik. Die Mutter zappelt zwar im Kugelhagel, doch sie weicht den Gechossen nur aus. Ihr Gefuchtel macht mich wahnsinnig, ihr retardiertes, vollbeschäftigtes Muttergehabe. Und der Vater ist ein Vollpfosten mit Verantwortung, wo ist denn der strafende Gott der Christen, wenn man ihn nur braucht?

Da will ich die letzte Waffe zur Verteidigung ergreifen, will den Familienklumpen mit einer Zigarette niederstrecken. Leider habe ich keine Zigaretten dabei. Ich verzweifele zunehmend, während ich immer weiter ins Abseits gedrängt werde von diesen kalten Kriegern mit ihren Geiseln in Leib und Kinderwagen. Kollateralschäden, Guerillakrieg, Strategiewechsel. Ich schieße Blickeraketen ab, sie verfehlen ihr Ziel. Da tauchen Verbündete auf. Es werden immer mehr. Sie riechen bereits die Kadaver der Gefallenen und wollen nun deren Besitz fleddern. Sie schneiden mir den Weg zu meinen Truppen ab. Versorgungsengpass. Belagerung. Hunger auf Perspektive. Dann diktieren sie die Bedingungen meiner Kapitulation.

Geschlagen, gedemütigt, erobert. Ich willige ein und gehe. Wohin? Heimatlos. Meine Tasche aber lasse ich wie unabsichtlich liegen. Kaum habe ich den Ort, verlassen, höre ich die Explosion, spüre die Druckwelle. Rieche verbranntes Fleisch. Die Unterdrückten jubeln, sind wie durch ein Wunder verschont geblieben. Sie tanzen um die abgetrennten Körperteile ihrer einstigen Unterdrücker herum und gründen eine neue Republik. In ihr wird alles anders werden. Ich lächle und nenne dies Entspannungspolitik. Ich habe noch viele Taschen und Koffer. Im Supermarkt gegenüber gibt's Sprenggürtel im Sonderangebot.

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