Ich sehe ja ganz gut aus. Das bestätigt mir jeden Morgen mein Spiegelbild. Selbst in der Frühe mit zerknittertem Gesicht sehe ich noch einigermaßen aus, dann eben würdevoll zerknittert. Was soll ich machen? Das liegt mir eben im Blut, ebenso wie ein guter Geschmack und ein nicht an Kurzlebigkeiten anbiederndes Modeverständnis.
Dies macht mich zum Modexperten in eigener Sache. Zumal ich als junger Mann, der ich vor 30 Jahren noch war, unsägliche Mode-Verbrechen an mir selbst begangen habe. Stichworte: Batik-T-Shirts, Latzhosen, lange Haare. Daher darf ich nun auch richten über andere, genauso wie Ex-Raucher überall ungestraft Raucher verprügeln und Veganer Tiere ausbeutende Menschen öffentlich kreuzigen dürfen.
Mein Modeverbrechen begann Mitte der 80er Jahre mit dem Aufkommen der Serie "Miami Vice". Kurz vor dem mittleren Schulabschluss begannen wir plötzlich mit pastellfarbenen Sakkos, Polo-Shirts und Bundfaltenhosen in Klassenzimmern herumzusitzen, den Lederaktenkoffer (schwarz mit goldenen Beschlägen) auf unseren Knien. Das hat zwar schön geschnappt beim Öffnen des Koffers und fein geklickt beim Schließen desselben.
Doch beim kilometerlangen Fußmarsch nach Hause wurden schnell die Arme lahm! Und die Mädchen haben es nicht goutiert. Es hätte aber auch schlimmer kommen können, z.B. wenn wir uns einige Zeit davor an Magnum orientiert hätten: Hawaiihemden, Shorts und OLiBa - im Grunde das Outfit eines durchschnittlichen Hipsters in Neukölln. Nun lebe ich aber in Friedrichshain und möchte daher ein modisches Sittenbild hierzuorte beschreiben:
Das Polo-Shirt ist zurück. Ich weiß, schon seit Jahren ist es wieder da. Kurz war ich versucht, mir selbst einige zuzulegen, erinnerte mich dann aber schlagartig an die Schrecken meiner eigenen Jugend. Wie es kommt, dass das Polo-Shirt jetzt erst schlagartig überhand nimmt in Friedrichshain, mag daran liegen, dass Modetrends, gute wie schlechte, immer ein paar Jahre brauchen, bis sie in der Provinz ankommen.
Und da Friedrichshain vor allem aus Zugezogenen aus der Restrepublik und den etwas biedereren, weil geschäftsreisenden oder enkelbesuchenden Touristen (Böblingen, Cochem, Heidelberg, Ostdeutschland) besteht, muss ich, wie ich meine, auch hierüber berichten, als sei der Ortsteil tiefe Provinz: In Friedrichshain also ist nun das Polo-Shirt angekommen!
Als wäre das aber nicht schon schlimm genug, muss auch noch der Kragen hochgestellt werden. Ich wiederhole: DER KRAGEN HOCHGESTELLT WERDEN! Was soll das denn? Der hochstehende Kragen ist ein Relikt aus dem hanseatischen, von mir aus auch französischem Bürgertum. Er war gesteift und lag eng am Hals an. Das hatte Chic und gab dem Körper eine etwas steife Haltung, hat aber den Bürger vom Hafenarbeiter unterschieden. Der war um einiges legerer.
Doch beim Polo-Shirt-Träger schaut der hochgestellte Kragen aus wie bei einem Hund, dem man frisch die Ohren kupiert hat und nun einen Kratzschutz am Hals trägt: Der Kopf wackelt lustig im Trichter herum! Das liegt beim Polo-Shirt daran, dass der Halsausschnitt viel weiter ist als zum Beispiel beim Hemd und der Kragen somit erst vom Schlüsselbein ab hochgestellt werden kann. Damit hat er einen relativ großen Durchmesser im Verhältnis zum Kopf. Ergebnis: Rednecks kullern im Kragenweit!
Wer so etwas trägt, schaut sich entweder bei der Anprobe nie von hinten an oder ist ästhetisch bereits so deformiert, dass er glaubt, Hässlich sei das neue Schön! Da kann er heute auch getrost CDU wählen und für die Randbebauung des Tempelhofer Flugfeldes stimmen. Seine Freundin macht das sowieso schon, wenn sie diesen Look bei ihrem Kerl noch toleriert oder gar fördert.
Ich darf mich nicht so aufregen! Das tut mir nicht gut! Aber wenn ich derart herausgefordert werde...
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