Dienstag, 9. November 2010

Aber verflucht habe ich sie! Die blousonbejackte Intelligenzja der Täteräää!

Als die Mauer fiel, war ich nicht dabei. Ich war sowas von weit weg, dass es beinahe schon gar nicht mehr wahr war. Ich war so weit von diesem historischen Ereignis entfernt, dass ich bei der Nennung des Datums 9.11. gar nicht an den Mauerfall dachte, sondern eher an die Reichspogromnacht. Und ich bin dermaßen wenig für den Mauerfall sensibilisiert, dass ich selbst heute beim gesamtdeutschen NeunElf eher an das amerikanische NinEleven denke.

Ich bin im tiefsten Westen aufgewachsen, Frankreich war mir also viel näher als die sogenannte Zone. Hätte zum Beispiel das Elsaß aufbegehrt und das Tor zur Weinstraße gestürmt, so hätte mich das viel mehr betroffen. Doch die Elsässer wollten ja gar nie zur BRD gehören. Und die "Zonis" wahrscheinlich auch nicht. Ich glaube, die wollten vor allen Dingen einfach WOANDERS sein. Aber bloß nicht in der DDR. Wem konnte man's verdenken?

Die Stimmung bei den Pfälzern war jedenfalls egalitär. Es wurde ja überall in den Medien kolportiert, dass die unweigerlich nahende Einheit gar nichts kosten, nein, sogar noch Geld bringen würde. Auch nähmen uns die DDRler keine Jobs weg, weil es dort ja quasi die Vollbeschäftigung gäbe. Am Ende glaube ich, dass man die "Wessis" und die "Ossis" irgendwie angelogen hat, nur jeweils ein bisschen anders halt. Allen voran log die "Bild", die extra zur Feier den Mehrfarbdruck angewendet hat und "uns" fortan schwarzrotgold- umflorte Titelblätter schenkte.

Keiner hatte jedenfalls was dagegen einzuwenden, dass die Mauer nun "weg" war. Aber so richtig dafür war auch keiner. Es war halt EGAL, HAUPTSACHE ES GEHT SO WEITER WIE IMMER. Und dass der Kommunismus nicht käme, das war die andere Hauptsache. Leider kamen aber ganz viele DDRler und haben den Gebrauchtwagenmarkt leergefegt und dafür ein Geld hingelegt, so dass man Verkäufern wie den Käufern die Frage hat stellen müssen, ob sie noch ganz sauber sind.

Da ich just zu der Zeit selbst einen neuen Gebrauchtwagen brauchte, war ich irgendwie angeschissen. Denn die waren nun doppelt teuer, vielleicht sogar dreifach, weil die völlig beknackten und vom Kapitalismus entfesselten "Ossis" jede Dreckschleuder gekauft hatten, die einen halbwegs funktionstüchtigen 4-Takt-Motor hatte und es wenigstens bis in den Nachbarort schaffte, bevor sie vollends auseinanderfiel. Dieser Tatsache allein hatte ich es zu verdanken, dass ich mir einen Ford Escort mit Lufthutze, Front- und Heckspoiler kaufen musste, weil ich mir keinen anderen Wagen leisten konnte.

Äußerlich schon irgendwie ölig, hinterließ er zudem eine schmierige Schleimspur aus einer Emulsion von Kühlerflüssigkeit und Motorenöl. Das war eigentlich ein don't, doch in dieser infrastrukturell unterlegenen Gegend brauchte man ein Auto, um auch nur irgendwohin zu kommen. Denn obwohl es mir manchmal gelang, das ein oder andere Girl zu küssen: Sobald sie dieses Auto sahen, flüchteten sie schreiend und ließen sich fortan am Telefon verleugnen. SMS gab es noch nicht. Ich hasste die Ostdeutschen nicht, aber verflucht habe ich sie.

Derweil merkten auch die anderen BRDler der Umgegend, dass irgendwie nicht alles so dolle ist wie es ihnen verkauft wurde. Klar, die Gebrauchtwagenhändler hatten sich gefreut wie Bolle. Aber gleichzeitig ahnten sie, dass sie ihrem unwilligen Nachwuchs nicht mehr an den Kopf werfen konnten, dass er doch 'rüber gehen soll, wenn es ihm hier nicht mehr passt. Es gab ja gar kein Drüben mehr. Und somit auch kein Hüben. Das tat ihnen bestimmt mehr weh als der Solidaritätszuschlag und DIE LINKE zusammen.

Tatsächlich war die Bunzreplik (Helmut Kohl) ein Ort niederträchtigen Stumpfsinns, der sogar die blousonbejackte Intelligenzja der Täteräää in die Tasche steckte. Es gab weder Linienbusse noch Zugverkehr zwischen den Dörfern, dafür wenigstens überfüllte Schulbusse. Wer kein Auto hatte, war schlicht ein Verlierer und hatte es nicht besser verdient, sogar als Tramper noch gedemütigt zu werden. Antirassismus war außerdem gleichzusetzen mit Kommunismus, und wenn man auf Arbeit keine Witze über "Ausländer" machen wollte, wurde man als "rote Sau" aus dem Betrieb gejagt.

Die DDRler kamen dann doch noch und nahmen "uns" die Arbeitsplätze weg, und somit hatten wir keinen Platz mehr für die vielen "Asylanten", die ja alle "Scheinasylanten" waren. Obwohl die "uns" ja nicht die Arbeit wegnahmen, weil sie nämlich gar nicht arbeiten durften, war das "Boot" nun irgendwie voll. Und die "ganzen Ausländer" waren plötzlich Arbeitnehmer dritter Klasse. Habe ich schon erwähnt, dass wir uns vor lauter Stumpfsinn kaum noch in die richtigen Drogen flüchten konnten? Uns blieb doch nur der Grunge, und der tat uns weh.

Was hat uns die Wiedervereinigung nun eigentlich gebracht? Der Nutznießer des emanzipatorisch fortgeschrittenen Sozialismus übernahm aus dem Westen das Frau=Herd/ Mann=Arbeit- Prinzip und hatte auch sonst den Kapitalismus schneller begriffen als viele Westdeutsche, die ja bekanntlich mit dem Silberlöffel im Arsch aufgewachsen sind. Dafür hat nun jedes Kind das Recht auf einen Platz in der Kita. Allerdings muss man dazu einen Arbeitsplatz vorweisen. Den bekommt frau freilich nur, wenn sie für ihr Kind einen Platz in der Kita nachweisen kann.

Der Wiedervereinigung haben wir sowohl ein Erstarken der rechten Parteien zu verdanken als auch die damit einhergehende Verschärfung der Einwanderungs- und Asylgesetzgebung. Wir haben ihr Angela Merkel zu verdanken, und das ist wirklich nicht schön. Wir hätten auch ein besseres Schulsystem haben können, aber es schien ja so viel wichtiger, individuelles Karriereversagen nach sozialer Herkunft zu bestimmen, als einmal etwas richtig zu machen. Man hätte ebenso eine gemeinsame Verfassung haben können, aber wer weiß schon, was das wirklich bedeutet hätte. Und die Tittenmädchen von der Bildzeitung gibt es seit der Wende in Farbe, was für ein Gewinn. Das ist bitte nicht zu vergessen!

Wir verdanken der Wiedervereinigung den Wunsch nach jener Normalität, die einzig und allein das Vergessen der großen Schuld aus dem Dritten Reich meint und somit unsere Verantwortung für die Zukunft schleunigst abschaffen soll. Wir haben ihr zudem den Abschied vom rheinischen Kapitalismus zu verdanken, der wenigstens noch nett sein wollte zu seinen Opfern. Härte regiert die BRD nun, Unbarmherzigkeit und Profilierungssucht. Da hatte der biederdeutsche Stumpfinn vorvergangener Zeiten vielleicht noch einen Funken Herzlichkeit gehabt? Der wäre denn nun zur Gänze weg! Was soll ich also feiern?

2 Kommentare:

RonJustice hat gesagt…

ich erinnere mich daran, dass, als ich mit deinem damaligen fahrzeug versuchte, meine (noch damaligere) freundin nach hause fahren zu wollen, nach circa 10 metern das rechte vorderrad begann, sich "in luft aufzulösen"...(war mit sicherheit ein anschlag durch die stasi... )

andererseits...sehe es positiv...es gibt keinen "grunge" mehr!

holz e. von bald hat gesagt…

hach ja, die Erinnerungen: Sie kommen mit der Faust angerannt und hauen einem eine in die Fresse.
Mein Auto - ja, es war ein ganz besonderes Auto. Es war... es war so richtig... scheiße? War es scheiße? Es war scheiße!
Gut ist tatsächlich: Es gibt keinen Grunge mehr. Dafür gibt es: Brunch!