Donnerstag, 19. April 2007

irgendwo muss man ja mal anfangen!

lost in mannheim
ich bin vor ein paar monaten von berlin nach mannheim gezogen. die erste frage, die mir gestellt wurde war: "warum nach mannheim? wegen des jobs?" es kursiert offensichtlich das vorurteil, in berlin gebe es keine arbeit, und woanders ziehe man nur hin, um den makel der arbeitslosigkeit endlich zu überwinden. das ist mitnichten richtig. ich bin der allerletzte, der wegen eines jobs irgendwohin ziehen würde.

mich hat einzig allein die liebe die stadt wechseln lassen, und das sollte meiner meinung nach der einzig richtige grund sein. für viele menschen ist aber lohnarbeit lebenszweck und ich habe mitleid mit ihnen. ihnen ist das halbe leben die arbeit, die andere dient ihnen dazu, sich für den nächsten tag fit zu halten.

ich empfinde allerdings das dasein als angestellter als zumutung. ich möchte vermeiden, dass andere menschen über meine zeit verfügen, deswegen gehörte ich die letzten jahre zur digitalen boheme. dies gelang in berlin sehr gut, über die jahre konnte ich mir ein gutes netzwerk aufbauen. in mannheim nützt mir dieses netzwerk nichts oder nur wenig, so muss ich nun doch in teilzeit arbeiten. es verursacht mir leichte übelkeit, aber ich bemühe mich, nicht so sehr daran zu denken. falls doch, sage ich mir: besser angestellt, als den wirren forderungen und förderungen der arbeitslosenverwaltung ausgesetzt zu sein. ich bin ein "hero der gesellschaft", der auf "den staat pfeift" und ich bin ein misanthrop. so, das musste jetzt auch mal gesagt sein, bittesehr...

ich habe eine 100%ig perfekte stadt mit leider zu 100% schizoiden potentiellen lebensgefährtinnen gegen eine 50%ige stadt eingetauscht, dafür gibt es hier eine 100%ig nicht- schizoide frau, die mich offenbar liebt und maximales verständnis für mein weltunverständnis und meine sehnsucht nach der verlorenen gemütlichkeit hat. ohne sie - und das muss ebenfalls gesagt sein - hielte ich es hier gar nicht aus!

ich gehe mittlerweile stark auf die 40 zu, und dieses alter - so finde ich - macht kontaktaufnahme zu anderen menschen zunehmend schwieriger, sofern man nicht auf kuppelparties gehen oder mit kollegInnen vorlieb nehmen möchte. ich trenne lohnarbeit stark vom privaten. zudem will ich immer öfter meine ruhe haben und bevorzuge freunde, die da sind, wenn man sie wirklich braucht. es dürfen nicht zu viele sein, sonst verliert man den überblick und die autonomie über seine alltagsgestaltung.

ich habe bemerkt: in mannheim (oder in anderen kleinstädten) muss man sich vor vereinnahmung durch freunde und freundinnenfreunde in acht nehmen. hier ist freundschaft die verpflichtung, das wöchentlich in mannheim stattfindende event wahrzunehmen, ob man nun möchte oder nicht, weil "ich nicht alleine da hin will". es ist ein gesetzt und wird bei nichtachtung mit nichtachtung bestraft, wobei die nichtachtung der (meiner) persönlichen bedürfnisse ja schon im vorfeld gegeben ist. solche freunde möchte ich nicht.

ich will freunde, die mich lieb fragen, und wenn ich ablehne, dann sagen sie schade und zucken kaum merklich mit den schultern, weil sie es wirklich schön gefunden hätten, wenn ich mitgekommen wäre, mehr aber auch nicht. dieselben freunde fragen gänzlich unbeleidigt wenige tage später etwas neues, und wnn sich hochwohlgeboren geneigt fühlt, beehrt er seine freunde mit seiner anwesenheit und vorzüglichen bonmots. so soll das sein!

ich kann cliquengetümmel nicht ausstehen! ich kenne es und lehne es ab: stundenlang in irgerndeiner freundeswohnung ausdiskutieren, wohin man wann in welcher reihenfolge geht, in wirklichkeit aber nur die hierarchie neu aushandeln, neue allianzen schmieden und egoismen öffentlich pflegen wollen. am ende verpasst man die schönsten ereignisse und muss sich in der zwangsgemeinschaft besaufen. ich bin sicher, dass aufführungen und konzerte etc. nicht so erbärmlich leer wären, wenn sich wenigstens die freunde der veranstalter mal aufraffen könnten und weniger in diskussionen und gemütlichkeit versacken würden. ich spreche - wie gesagt - aus eigener erfahrung. ich weiss hingegen schon vorher, wo ich hinmöchte und nehme auch gerne jemanden mit, solange er mir nicht mit irgendwelchen egoismen auf die nerven fällt.

bin ich nicht ein ganz vorzüglicher mensch? "nein, bist du nicht! und überhaupt, wenn du wirklich so ein waldläufer und einzelgänger bist: warum lebst du dann nicht auf dem land? ist das nicht paradox?" da kann ich nur lachen und sagen: nein, es ist nicht paradox, es ist logisch: je weniger der ort und je weniger die menschen, deto mehr anteilnahme am heiligen selbstbild anderer gibt es. es ist nicht los im ort und immer die selben leute versammeln sich an den selben orten. wer tankstellen in ländlichen gebieten kennt, weiss was ich meine.
wer aber in der grossen stadt lebt, muss niemanden zweimal treffen, wenn er es nicht möchte. es gibt zu viele menschen, um jeden einzelnen zu betrachten und ihn gegebenenfalls aufzufordern, sich z.b. mal die haare schneiden zu lassen. in der grossstadt muss man fast aufdringlich sein, wenn man beziehungen zu menschen aufbauen möchte. das ist ein guter schutzschild gegen die beliebigkeit, möglichst viele menschen kennen und sie sofort freunde nennen zu wollen. man kann in städten wie berlin sorgfältig auswählen. in städten wie mannheim geht das nicht.

radioempfindlichkeiten
gehört am dienstag morgen im bermudafunk: eine junge frau stört sich in ihrem reisebericht über ladakh, und das in breitestem mannheimer dialekt. für sie ist ladakh auch nicht in kaschmir/ indien, sondern in tibet angesiedelt, zumindest aber mit der ortsbeschreibung "himalaya" liegt sie richtig. sie hat ladakh doch bereist und musste irgendwo ein visum beantragen? hat sie die wahrheit für den geneigten hörer verknappt? ich rege mich heute zum ersten mal auf und korrigiere die junge dame. sie hört nicht auf mich und spricht weiter.
bei ladakh, berichtet sie, gebe es nun mittlerweile einen flughafen, was dem tourismus nun einen aufschwung bereite und die "tibetanischen" mönche nun nicht mehr in ruhe beten könnten. aus eigener erfahrung gibt es bei ladakh schon seit wenigstens 15 jahren einen flughafen, und schon damals gab es soviel tourismus, dass die mönche sich wohl daran gewöhnt haben dürften, von interessierten, aber uninformierten reisenden aus aller welt gestört zu werden - und das nicht nur beim beten.
der kolonialistischen art der berichtertattung zufolge musste die reisende "die hände über dem kopf zusammschlagen", da das erwartete idyll gestört war. jetzt habe noch nicht mal die patchwork- religiösen westdeutschen touristen mehr ihre mentale zuflucht. die lordsiegelbewahrer der fremden kulturen stöhnen hier auf: "was soll das, mit dieser tollen und friedvollen kultur zu brechen? gerade jetzt, wo wir keine eigene kultur mehr haben? was ist aus der spiritualität des buddhismus geworden...", der tiere höher schätzt als frauen? dessen mönche die bevölkerung auspressen?
ich bemerke, dass ich mich in etwas hineinsteigere und beende das thema, indem ich das radio ausschalte.

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