Freitag, 13. Juli 2012

Der Protest hat immer recht! Vom dagegen- sein- müssen!

bei Tag am schönsten: Der Müggelsee
Sie verstünde die Haltung der jungen Leute nicht mehr. Dass man sich für nichts mehr interessiere. In der DDR, da sei man gleich eingebuchtet worden, wenn man seine Meinung kundgetan hatte. Heute jedoch dürfe man für seine Überzeugungen eintreten, und die Menschen machten keinen Gebrauch davon.

Die ältere Dame war entrüstet. Eben noch hatte sie mich am Müggelsee von meiner Lektüre aufgeschreckt. "Störe ich?" Dass ich mich tatsächlich gestört fühlte, interessierte sie nicht weiter. "Wohnen Sie hier in der Nähe oder in Berlin? Dann möchte ich Sie bitten, hier zu unterschreiben." Es ging ganz klar um ein Nachtflugverbot für den Flughafen Berlin-Brandenburg (BBI). Natürlich gibt es massenhaft Gründe, ein solches Verbot durchzusetzen, keine Frage. Doch der Reihe nach.

Ich hatte ihr natürlich widersprochen. Auch in der früheren BRD seien Menschen verhaftet und misshandelt worden, die für ihre Interessen eingetreten sind (Atomkraftgegner, Brokdorf, Antifa etc.). Es sei denn, man demonstrierte systemkonform rechts. Wollen wir mal nichts schönreden: Das ist ja heute noch so! Doch dass ich mich für nichts interessiere, dass kann man mir ja wohl kaum nachsagen.

Es kommt halt darauf an, wofür! Würden die Müggelsee- Anrainer gegen den überbordenden Automobilverkehr mobil machen, ich hätte sofort unterschrieben. Aber hier stellen sich gutsituierte Menschen (und weniger gut Situierte, die sich von der "Sache" in gutem Glauben vereinnahmen lassen) gegen die nachträgliche Entwertung ihrer Grundstücke durch Fluglärm. Doch der BVBB e.V. drückt es natürlich pathetischer durch ein Zitat von Willy Brandt aus: Wer Unrecht duldet, stärkt es! Dass Brandt damit auf das Dritte Reich anspielte - geschenkt!

Unrecht ist es natürlich, wenn wohlhabende Menschen in ihrer verdienten (und vor allem abbezahlten) Idylle gestört werden sollen. Früher war's die Tatsache, dass einfacher Pöbel auf den an Privatgrundstücke angrenzenden Uferwegen flanieren durfte, heute geht's natürlich nur um Naturschutz: Kerosin würde in den Müggelsee fallen und ihn verschmutzen, die Enten und Blesshühner wären den Fluglärm nicht gewohnt (den Motorbootlärm hingegen schon) und reagierten verschreckt. Tagsüber macht der Lärm den Tieren also nichts aus. Aha! Außerdem sei's mit dem Badespaß vorbei (also geht's gegen den Flughafen generell?). Übrigens: Auch in Neukölln sei man davon betroffen, zumindest wenn der Wind ungünstig steht.

Nun denn, ich bin auch von Tegel betroffen, wenn der Wind ungünstig steht. Doch stört mich eher der nicht zur Ruhe kommende Straßenverkehr. Leider gibt es hier keine starke Lobby, die sich gegen die Allmacht des Individualverkehrs stellt. Die lebt in den grünen Zonen außerhalb der Stadt und erklärt den Mietern die Mieterhöhungen damit, dass Verkehrslärm ein Indikator für eine zentrale Wohnlage ist. Für die Tegeler hingegen dürfte es ein Segen sein, wenn dort der Flugbetrieb eingestellt wird. Der Grund ist übrigens nicht der Lärm oder eine Bürgerinitiative, sondern schlicht und einfach: Der Flughafen dort lässt sich nicht ausbauen!

Jetzt soll ich also Unterschriften für ein paar Leute leisten, die sich nicht einmal schämen, ihren Protest "Montagsdemo" zu nennen. Früher ging es da um so'ne PillePalle wie die Freiheit, heute jedoch geht es um das angeborene Recht der wohlhabenden Minderheit, in Ruhe und Frieden in der Natur leben zu dürfen und zu können, während der nicht so wohlhabende Teil der Gesellschaft im Lärm und Dreck der Städte ersticken darf. Wenn das Großbürgertum demonstriert, ist das in den meisten Fällen unschön und keineswegs sozial: Es geht lediglich um Besitzstandwahrung.

Aber: Wenn nachts keine Flugzeuge vom BBI starten dürfen, dann fliegen die entweder zusätzlich tagsüber (plus mehr Landebahnen und genauso viel Kerosin, das in den Müggelsee tropft), oder die nächtlichen Transportflüge werden woanders hin verlagert (Tegel, Leipzig o.ä.). So wird Fluglärm wieder dahin gebracht, wo er hingehört: Zu denen, deren Bürgerinitiativen nicht von habilitierten und promovierten Gelehrten angeführt werden, und die sich allein deshalb kleinkriegen lassen, weil sie sich die notwendigen, rechtlichen Schritte gar nicht leisten können. Da möchte ich doch mal den Rechtsanwalt aus Friedrichshagen sehen, der diese Klient_innen kostenlos berät und vertritt.

Deswegen unterschreibe ich erstmal gar nichts. Und wie ich der Dame gesagt habe: Bloß, weil ich jetzt protestieren darf, ergibt sich daraus noch nicht die Verpflichtung, es zu müssen. Eben darum, weil wir NICHT in der DDR leben! Außerdem ist es mir lieber, den Mittag am Müggelsee mit weniger Flugverkehr zu entspannen. Tagsüber fliegen da sowieso schon dauernd Flugzeuge. Nachts bin ich wieder in Berlin, da muss es mir dann egal sein, von welcher Seite und von wem ich beschallt werde. Ich wäre deshalb sehr für ein Tagflugverbot für den Großflughafen BBI! Doch wer würde mich da schon unterstützen?

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