Sonntag, 30. Mai 2010

Opfer und Täter! Karstadt und der böse Wolf!

Selbst da, wo man es kaum vermutet, kann ein ganz banaler Einkauf zum Abenteuer werden. Ein solcher Abenteuerspielplatz für Konsumenten ist zum Beispiel der Karstadt am Hermannplatz. Nicht nur, dass er sich ganz wunderbar dafür eignet, den Weg zur Bushaltestelle zu verkürzen, trotz aller Wegelagerer im Innern, die sich selbstredend nur an den verengten Stellen der Verkaufsräume plaudernd aufhalten und nicht etwa an den geräumigeren Orten.

Der Mensch, so ist beaobachtbar, ist tatsächlich ein Opfertier, dass sich freilich äußerst erfolgreich durchgesetzt hat. Wahrscheinlich der Befähigung zur Dialektik geschuldet, welche den Täter zum Opfer macht und das tatsächliche Opfer zum Täter. So sucht der Herdenmensch gerne beengte Durchschlüpfmöglichkeiten (Türrahmen, Gänge, Rolltreppenan- und absätze etc.) zum geselligen Aufenthalt. Von dort aus ist es nicht nur einfach, sich der Gefahr wegen in die weite Steppe der Verkaufsregale zu flüchten. Die Jäger verlieren kostbare Zeit und viel des eleganten Schwungs, um ihrer Beute nachsetzen zu können.

Wozu also in die Universität, um soziologische und psychologische Aspekte menschlichen Verhaltens zu studieren? Ein einziges Warenkaufhaus reicht aus. Wölfe im Schafspelz zum Beispiel sind die Verkäufer/ Berater (ausschließlich männlich) in der Elektronikabteilung. Man winkt sie herbei um diese oder jene Information zu diesem oder jenen Produkt zu erhalten. Aber nicht so voreilig: Zunächst muss noch der Kunde bedient werden, der finanziellen Spielraum zu haben scheint.

Die Eckzähne des Verkäufers blitzen leicht im milden Licht der künstlichen Beleuchtung. Er ist hungrig, schon beinahe irre vor Schwäche, doch bald wird er seine Beute zu Fall gebracht haben. "Ja, wenn man einen Einkauf natürlich nur vom Portemonnaie abhängig macht, dann kann man sich so ziemlich alles kaufen. Bloß keine Qualität. Schauen Sie hier: Sieht zwar einigermaßen aus, ist auch billig, aber hören Sie nur wie das klingt... schrecklich, oder?"

Der Verkäufer betont noch, dass er vom Fach komme, eigentlich sei er sogar in der Entwicklung von Lautsprechersystemen tätig gewesen. Der solvente Käufer oder jener, der bereit ist, noch was drauf zu legen für den guten Namen eines Produktes, der aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken möchte, er könne sich lumpige 100 Euro mehr nicht leisten, nickt leicht abschätzig. "Klingt ja wirklich schrecklich!" Dann doch lieber die hochpreisigen Modelle herzeigen. Kaufen. Einpacken.

Ich werde offenbar als schwieriger Kunde betrachtet. Obschon ich zwar rein äußerlich, wenn auch fälschlicher Weise, eher den Eindruck vermittle, ich hätte irgendwelches Geld: Irgendwie sieht man mir auch an, dass ich nie viel Geld für technisches Gelump ausgeben würde. In der Buchabteilung kann man mir vielleicht alles aufschwatzen, aber nicht bei Elektroartikeln. Ich schaue unglaublich gebildet aus, muss man sagen. Und ich schaue auch aus, als sei ich unglaublich selbstironisch. Deshalb übersieht man mich in der Elektroabteilung geflissentlich. Ich bin dort ein absolutes NoGo.

Trotzdem brauchte ich kürzlich einen Rat: Für eine künstlerische Arbeit benötigte ich drei autarke Boxensysteme. Die sollten einigermaßen nach was klingen, eine ausreichende Lautstärke haben, gut aussehen und natürlich nicht viel kosten. Von meinen künstlerische Arbeiten erwarte ich zwar und schließlich keine Rentabilität, aber verschulden möchte ich mich deshalb noch lange nicht. Ich nannte dem Verkäufer die Preisspanne, woraufhin der leicht die Augen verdrehte: Ich habe es genau gesehen.

Der Verkäufer zeigte mir widerwillig "billige" Soundsysteme, nur um darüber verächtlich zu rapportieren. Mein Hinweis, ich hätte zu Hause ein vollkommen ausreichendes Exemplar der Marke so und so, dass einigen Wumms hätte und nur ca. 30 Euro gekostet hätte, wurde milde belächelt: "Da irren Sie sich bestimmt. Das kann gar nicht sein." Der Verkäufer betont noch, dass er vom Fach komme, eigentlich sei er sogar in der Entwicklung von Lautsprechersystemen tätig gewesen.

Nun, es gab kein Weiterkommen. Tatsächlich klangen die Soundsysteme wie Arsch und Friedrich. Nun war ich aber nicht bereit, dermaßen viel Geld für benötigte Geräte auszugeben, wie man es mir Vorschlug. Dazu hätte ich denn auch noch MP3-Player gebraucht. Unnötig zu erwähnen, dass die von mir ausgesuchten Modelle zu nichts taugten. Ich verließ die Elektroabteilung ohne Einkauf und irgendwie ratlos.

Zuhause recherchierte ich im Internet und fand alles was ich brauchte innerhalb weniger Minuten. Alles wurde geliefert, funktionierte tadellos und evozierte den gewünschten Effekt. Die künstlerische Arbeit wurde zu einem Erfolg, wenn sich das auch nicht pekuniär ausgewirkt hatte. Alle Geräte taugten was, sahen gut aus und waren günstig. Was will man mehr?

Das eigentliche Abenteuer im Karstadt hatte ich aber erst gestern: Ich wollte einfach nur einen DVD-Player (günstig und hübsch) kaufen, der die eine oder andere Funktion hatte. Um nicht aufzufallen, versteckte ich mich sicherheitshalber vor dem Fachpersonal. Der Wolf nahm Witterung auf, doch er konnte mich nicht finden. Ich schlich um die Geräte herum, verglich selber und hätte nun doch einen Rat gebraucht. Ich hielt mich jedoch vornehm zurück: Sollte etwas nicht funktionieren, gibt es ja noch den Umtausch auf Kulanz. Ich schnappte mir ein Gerät und brachte es so dermaßen unauffällig zur Kasse, ich hätte es problemlos stehlen können.

Nun steht Karstadt schon lange zum Verkauf. Ein neuer Interessent hat den Tag der Veräußerung um eine Woche verschoben. Am 7. Juni soll es so weit sein. Was wird mit dem Kaufhaus am Hermannplatz geschehen? Muss man zukünftig um ihn herumlaufen, wenn man zum Bus will? Werden Soziologie- und Psychologiestudenten zukünftig an der Universität studieren müssen? Blecken Wölfe nun in den engen Gassen Neuköllns ihre Zähne, wo sich das Opfervolk bereit zur Flucht aufhält? Werde ich mich weiter vor meiner Steuererklärung drücken, indem ich hier einen Blog nach dem nächsten abdrücke? Fragen über Fragen, und keine befriedigende Antwort!

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