Sonntag, 23. November 2008

In der Reformhölle! Das schwarze Loch in meinem Brotkasten!

"Großvater, Großvater, erzähl' uns noch eine Geschichte vom Krieg! Bitte, och bitte!" "Na gut, dann will ich mich mal nicht lumpen lassen, also: Es fing alles an vor vielen vielen Jahren, als es in der Welt noch ganz anders zuging als heutzutage. Damals sahen die Automobile verschiedener Hersteller auch verschieden aus, und unsere Weihnachtsgeschenke mussten wir Kinder noch bei unseren Eltern abbezahlen. Für selbstgestrickte Socken verlangte meine Mutter 10 Mark! So ging es damals nämlich zu.

Früher gab es auch noch kein Bio. Nur sowas ähnliches, man nannte das damals noch Öko! Öko bedeutete verschrumpelte Äpfel und verschmutzte Salatköpfe. Dargereicht wurden diese Waren von ebenso verschrumpelten und verschmutzten Bauern, die immer so wirkten, als seien sie direkt vom Feld zum Marktplatz gefahren. Ich misstraute diesen Bauern sehr und kaufte mein Gemüse daher lieber im Supermarkt oder beim Spanier! Und schon auch mal im Reformhaus! Das Reformhaus, liebe Kinder, ist sowas wie ein BioDiscounter, nur nicht so groß und ganz ohne Discount.

Die ÖkoLebensmittel waren aber damals schon sehr teuer, und es hielt sich stets die Mär vom ach so guten Geschmack von unbehandeltem Obst und Gemüse, was den Absatz garantierte. Ich selbst fand jedoch die Supermarktäpfel immer viel toller, aber dann hat man halt mal eine Freundin die auf so Zeug abfährt. Da beißt man auch schon einmal in den sauren Apfel. Denn ihr sollte ich ein Brot von echtem Schrot und Korn zum Frühstück kredenzen, und nicht so eine Industriescheiße, so sagte sie es noch zu mir.

Als ich noch darüber grübelte, dass ich mein ganzes Leben lang Industriescheiße gefressen hatte, schellte schon die Klingel über der Tür des Reformhauses und bald stund ich an der Theke. 'Ein Brot bitte', stammelte ich und der ÖkoFreak am Ladentisch muss es mir wohl angesehen haben, dass ich ein Newbie in Sachen Gesundheitsfraß war. Er musterte meinen Chiffonanzug verächtlich und fragte: 'Ja, welches Brot wollen Sie denn? Und soll es ein Kilo oder ein Pfund sein?' Bis dahin hatte ich im Brotregal aber nur Brote in der Größe von Viertelpfündern gesehen, bei Lichte betrachtet waren's dann doch nur Brötchen.

Man bedeutete mir, dass das große Brötchen das 2Pfünder sei, was mich sehr überraschte. 'Das ist halt ein ganz ein kompaktes Brot, nicht so ein Industriescheiß. Da schneidet man sich eine Scheibe davon ab und ist hinterher satt. Nicht so wie bei dem Industriescheiß, der zur einen Hälfte aus Luft und zur anderen Hälfte aus Dreck besteht. In diesem Lichte betrachtet schien es mir ratsam, ein solches Brot zu schnappen, nicht aber ohne gut das Doppelte des gängigen Kilopreises für Brot zu zahlen.

Liebe Kinder: Wisst ihr eigentlich, was ein schwarzes Loch ist?" "Ja, lieber Großvater! Ein schwarzes Loch ist, wenn ein Gegenstand sich so stark verdichtet, dass der Druck ihn kollabieren lässt, unendlich klein wird und doch praktisch alles anzieht, was in seine Nähe gerät!" "Brav, liebe Kinder, das stimmt so ungefähr! Und wisst ihr auch, was passiert, wenn man in ein schwarzes Loch hinein gerät?" "Nein, lieber Großvater, das wissen wir ja gar nicht! Upps, da haben wir wohl eine Bildungslücke aufgedeckt, verursacht durch ein mangelhaftes Bildungssystem, wie wir wohl vermuten."

"Ich will es Euch erzählen, sorgt Euch nicht: Denn schon während des Nachhausewegs bemerkte ich, wie das gerade erworbene Brot zunehmend schwerer wurde in meinem Jutesack. Dies freute mich jedoch, da sich dadurch der Einkaufspreis relativierte. Als ich dann zu Hause ankam, verstaute ich das Brot in meinem Brotkorb, auf dass es am nächsten Morgen frisch zu Füßen meiner Herrin liegen mochte, bemerkte aber zudem, dass es nun nicht nur schwerer, sondern auch kleiner war als vorher. Vielleicht täuschten mich aber auch meine Sinne.

Vom Tragen erschöpft legte ich mich alsbald zum Schlafen und wurde erst wieder wach, als es mir fröstelte. Da war ein Heulen wie bei einem Sturm zugange, und meine Decke war mir vom Bett geglitten. Da zog ich sie hoch bis über beide Ohren, doch die Decke rutschte mir wieder wie durch Zauberhand vom Bett und bewegte sich auf die Schlafzimmertür zu. Ich musste träumen, das war sicher. Ich weiß noch, wie ich dann zur Tür ging und sie öffnete, denn ich hatte einen Harndrang und wollte das WC aufsuchen. Doch da war kein Flur mehr, nur noch gleißendes Licht, und in dessen Zentrum schwebte mein Brotkasten wie eine schwarze Sonne.

Schon bemerkte ich die Anziehungskraft des Brotkastens, und bald drohte ich selbst hinein gesogen zu werden. Ich hielt mich am Türgriff fest, so gut ich konnte. Doch die Gegenstände aus meinem Zimmer, Nachttischlampe, Bücher, Schallplatten, Hanteln, ja sogar Regale und zuletzt sogar mein Bett, rissen mich fort bis ich mit ihnen verschwand im Zentrum des galaktischen Wirbels, und ich sage Euch: Darinnen roch es nach Brot! Da war es klar: Die Masse des Brotes musste aufgrund der hohen Dichte kollabiert und ein schwarzes Loch entstanden sein, ganz so, wie ihr Kinder es vorhin erklärt habt.

Ich wurde also hineingesogen. Dann muss ich bewusstlos geworden oder auch gestorben sein, das ist mir heute noch nicht ganz klar! Ich weiß dann nur noch, wie ich in meinem Bett liegend im Mannheimer Stadthaus aufwachte und die Biowelt um mich herum gewahrte: Überall gab BioFrisöre, BioCafés, BioRestaurants und BioSupermärkte. Ich gewöhnte mir zunächst an, morgens einen BioCroissant zum BioKaffee zu essen, bevor ich die biologisch hergestellte BioZeitung mit den BioNachrichten las. Weil aber das Leben dort so teuer war, musste ich mich auf einen BioJob bewerben. Für den ich sogar den Nachweis erbringen sollte, dass ich selbst biologisch abbaubar sei.

Seither verkaufe ich BioGemüse, und ich war sicher, ich würde nie wieder aus dem Stadthaus heraus können und für immer in diesem Paralleluniversum verbleiben müssen. Doch da habe ich Euch, meine Nachfahren, bei Eurem Einkauf mit der Mama getroffen. Mit einem Mal war mir klar: Wer durch schwarze Löcher reist, reist durch die Zeit und durch den Raum, und vielleicht auch durch alternative Welten. Doch eines ändert sich nie: In jeder dieser möglichen Welten regiert der Irrsinn. Die Hölle, das seid nämlich Ihr!"

"Ohh jaaaa! Zeitreise! Paralleluniversum, Hölle, toll! Das würde ja auch erklären, warum Du viel jünger bist als unsere Eltern, lieber Großvater!" "Richtig, liebe Kinder! Aber nun geht ins Bett und schlaft, bevor der fiese Brotkorb Euch holt! HuschHusch die Waldfee!"

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