Mittwoch, 25. Mai 2011

The Unincredible Holz: Töten! Abschaffen! Vernichten!

Kurz vor der Verwandlung
Nun bin ich interniert. Ich bin ja schließlich gemeingefährlich. Habe ich doch meine Umwelt mit meiner Unausgeglichenheit und kleineren Wutanfällen terrorisiert. Da blieb nur noch ein Besuch beim Arzt. Und der sagte lapidar: Schilddrüsenüberfunktion! Heißer Knoten! Radiojodtherapie!

Nun befinde ich mich in einem Einzelzimmer der Station 8 in der Radiologie des Stadtklinikums Neukölln. Eben habe ich die radioaktive Tablette bekommen. Sie soll den heißen Knoten eliminieren. Deshalb strahle ich nun über das ganze Gesicht. Meine Ausscheidungen werden extra aufgesammelt und wahrscheinlich zur Versuchsasse transportiert, womöglich auch nach Gorleben. Genauso die Bettwäsche und alles, was ich derzeit an mir trage.

Ich trage ein sexy Netzhöschen und darüber die übliche Patientenkluft, bestehend aus einem Leinenhemd und einer passenden Hose, ganz legere im rosa-ocker Farbton, der mir gar nicht steht. Auch ein Bademantel wurde mir gegeben. Mein einziges persönliches Kleidungsstück sind meine Che- Badelatschen. Die darf ich dann ca. 8 Wochen nach meinem Aufenthalt hier wieder abholen.

Bis das Radiojod sich auf ein für die Menschheit erträgliches Maß reduziert hat, vergehen wohl 4 bis 5 Tage. Dann erst darf ich das Krankenhaus verlassen. Überhaupt: Ich muss die nächsten 3 Tage ausschließlich in meinem Zimmer verbringen. Erst am dritten Tag darf ich auch auf den Flur. Oder auch einmal duschen. Bis dahin ist Katzenwäsche angesagt. Die Zahnbürsten sind sofort zu entsorgen, weil: kontaminiert, und deshalb Einwegzahnbürsten. Es gibt keine Toilettenbürste, sondern einen Dampfstrahler. Der gut erzogene Patient pinkelt im Sitzen, da die Spritzer sonst den Boden und das Personal kontaminieren. Ich bin ab sofort eine Gefahr für Leib und Leben anderer!

In meinem Zimmer gibt es: ein höhenverstellbares Bett, einen Stuhl zum Sitzen, einen Tisch, den üblichen Nachttisch, eine Nachttischlampe, ein Fernsehgerät, ein CD-Radiogerät, zwei Lynn-Walker (?) Gemälde namens „Autumn Memory“ und „Heartland“, einen zweiten Stuhl für abgelegte Zeitungen und kein Internet. Ich habe mitgebracht: ein Netbook (mit Musik und den letzten beiden PDF-Ausgaben der Zeit sowie zwei Stellenanzeigen und das Manifest „Der kommende Aufstand“), zwei dicke Bücher (DeLillos „Unterwelt“ und Pynchons „Mason&Dixon), Eine Dschungle World Ausgabe, zwei Mobilfunktelefone, ein Notizbuch, und einen Kopfhörer, Ladegerät und USB-Gerätekabel. Nur für die vermerkt, die meinen Nachlass verwalten müssen.

Warum ausgerechnet Radioaktivität mein Gebrechen lindern soll, ist und bleibt mir ein Rätsel. Eine Überfunktion der Schilddrüse bewirkt eine innere Unruhe und damit auch leidenschaftliches Aufbrausen des Temperaments. Es ist so als verspürte man den unbändigen Drang, genau durchdachte Dinge unbedingt und sofort erledigen zu müssen, rutscht quasi schon auf dem Stuhl herum, ist aber leider doch zu träge zur Umsetzung. Es bleibt die Unruhe, dass etwas hätte getan werden müssen. Doch wenn man es dann doch noch schafft, sich aufzuraffen, dann rollt der Stein und ich bin nicht mehr zu bremsen. Hyperaktiv. Strukturiert.

Wie wir jedoch wissen, wurde der besonnene Wissenschaftler David Banner durch Bestrahlung mit Gammastrahlen, erst zum unkontrollierten und unkontrollierbaren Hulk. Die Kundigen des Marvel-Universums ist er auch bekannt als der „Incredible Hulk“. Was nun, wenn sich bei mir durch die Verabreichung des Radiojods, durch das ja durchaus Gammastrahlen freigesetzt werden, eine ähnliche Verwandlung vollzieht? Wenn die Therapie anschlägt, wird doch mein Temperament deutlich geringer, womöglich hänge ich dann sabbernd in einem Rollstuhl und Fliegen kriechen in meine Nasenlöcher und wieder heraus.

Doch wehe, mich ärgert ein Pfleger! Dann schlägt mein Metabolismus um in eine gewalttätige Natur, die weder Freund noch Feind kennt und jedem in meinem Umfeld an die Gurgel geht. Meine Muskeln schwellen an und zerstören das feine, rosa-ocker Patientenhemd im Ärmelbereich, und das satte Grün meiner Haut wird noch weniger dazu passen als meine gesunde Farbe derzeit. Töten! Zerstören! Zermalmen! Abschaffen! Das wird mein Schicksal sein, bald!

Bis dahin bin ich aber der durch ein radioaktives Unglück stark verstrahlte Dr. Atom, der im Arkham Asylum unter strenger Quarantäne auf seine Chance zur Flucht wartet, um die Menschheit endlich von ihrer jämmerlichen Existenz zu befreien. Außerdem gilt es, seine größten Widersacher zu vernichten: EnBW und Tepco, mutierte Riesenechsen, die angetreten sind, den Ruhm des großen Dr. Atom zu mindern. So geht das aber nicht: Wenigstens das Verbrechen muss konkurrenzlos bleiben!

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