Samstag, 2. Juli 2011

Devote Fremdenführer und schlunzige Eltern! Mondäne Orte sind Spielplätze nicht!

sicher bald gentrifiziert
Ja es ist wahr: Sie gehen auf die Nerven! Touristen richten ihren Blick auf alles, was der Eingeborene verachtet: Sehenswürdigkeiten und andere Grässlichkeiten wie in Tourismuszonen verwandelte Straßenzüge und Boutiquen, in denen man angebliche Reste der Berliner Mauer in Tüten abgepackt zu kaufen bekommt.

Weil sie aber so egalitär auf den Alltagsverkehr reagieren, der ihnen vor lauter Aaahs und Ooohs sowieso nicht vorkommt, sind Zusammenstöße unvermeidbar. Vor allem im Pulk auftretende Touristenhorden trotten wie eine Herde Schafe dem Leithammel hinterher und sehen nüscht außer: den Ausblick von der hundertsten Berliner Brücke, auf den 500sten Straßenmusiker und in den 1000sten H&M, der vielleicht doch nicht ein und dasselbe verkauft wie der in Hinterwaldbach-Überdingen, so wie immer behauptet wird.

Man möchte den in identischen T-Shirts auftretenden Horden gerne zurufen: Wir sind hier nicht in der Schwäbischen Alp und auch nicht im Pfälzer Wald, wo man Glück haben muss, will man anderen Menschen auf dem Weg begegnen. Berlin ist eine gefährliche Stadt voll mit Leuten darinnen, mitunter aggressiv, und die möchten nicht umgemöbelt werden von Rollkoffer hinter sich herziehenden Massentouristen, und ihr Bier will auch nicht von sich abrupt umdrehenden Rucksackträgern vom Tisch gefegt werden.

Nachhaltiger Tourismus wäre die Lösung: Es wäre schön, würden die Fremdenführer nicht nur von der schnoddrigen Berliner Schnauze erzählen, sondern auch von den pöbelnden Unmenschen hier, die gerne mal was auf's Maul geben, wenn geführte Radlergruppen zu fünft nebeneinander in 20 Reihen, mit dem Fahrbier in der Hand, die stark frequentierte Straße entlang schleichen. In jedem Dschungel wird man vom Fremdenführer gewarnt: Don't go alone! Don't talk loud! Be careful with the Tiger! Hier in Berlin lässt man sie ins Unglück stürzen.

Die Fremdenführer in Berlin sind einfach zu devot: Es könnte ja ein Tourist beleidigt sein und zurück in seinem Dorf Schlechtes über die Stadt berichten. Diese Angst ist unbegründet: Meistens finden die Leute Berlin gaaanz toll! Die Jungen wollen eh nur Ballermann in der Hauptstadt, und die Älteren und die Alten wollen ausschließlich Kultur und billig essen. Sie finden die Armut und die Alkoholiker zwar ganz schlimm, doch klingt auch stets die Faszination für das gesehene Elend durch.

Die Touristen sind nicht für die Gentrifizierung der Berliner Stadtbezirke verantwortlich. Sie bringen Geld in die Stadt, die ja nur den Tourismus hat und keine nennenswerte Industrie. Sicher werden vermehrt Ferienwohnungen angeboten, was den Wohnraum für die Einwohner verteuern mag. Und man traut sich als Neuköllner kaum noch etwas zu fotografieren, weil man sonst für das gehalten wird, was man selbst bemitleidet: Für einen Touristen, der es sämtliche Schaufenster und jede Straßenlaterne für wert befindet, in das Mobilfunktelefon hinein geknipst zu werden.

Schlimmer als die Touristen sind nämlich die, die keine mehr sind, weil sie sich dazu entschieden haben, in die hippen Bezirke Berlins zu ziehen. Sie bezahlen viel zu viel Miete, weil sie nicht so sehr auf's Geld achten müssen und kriegen dann ökologisch gezeugte Kinder, die sie zuhause auf's Podest stellen und sie tagein, tagaus frühfördern, bis denen die Empathie aus dem Gesicht fällt und sich psychopathische Grundmuster in ihren Gemütern ausbilden.

Wer nun aber Kinder hat und auch Arbeit, muss morgens früh raus aus den Federn. Und damit ist eben Schluss mit dem hippen Abgefeiere im Kiez. Man hat ja nichts gegen Parties und Kneipen und all das, aber um 22Uhr ist bitte Ruhe da draußen, jaaa?

Das schlimmste Ritual, dass der Neuberliner aus der Provinz mitbringt, ist der auf den Fenstersims krachende Rolladen und der beherzte Griff zum Handy mit der fest eingespeicherten Klage wegen Ruhestörung. Ganz freihaus bekommt man sozusagen die Unsitte des ländlichen Bürgersteig-Hochklappens in die Nachbarschaft gepfropft.

Wenn sie dann einmal frei haben, sonntags zumeist, terrorisieren die Neuberliner den Kiez mit ihren verzogenen Blagen mit all diesen altdeutschen Namen. Dann bevölkern sie die Eiscafés, Spielplätze und Bioläden der Stadt und lassen ihre Kinder toben, weil die sich nun mal überall entfalten müssen. Sie könnten sich ja sonst zu rücksichtsvollen Wesen entwickeln, verböte man es ihnen.

Ungeachtet der armen Bedienungen und Bediensteten, die nach zwei Jahren Routine schon längst taub sein müssen, selbstredend. Sagt einer was, heißt es nur: Das sind halt Kinder, die müssen sich austoben. Ja, sag' ich. Aber nicht hier! Geht auf den Spielplatz, Ihr Banausen! Dann bin ich auf einmal ein Kinderfeind.

Kürzlich hat mich eine dieser Rotznasen mit dem Kindereinkaufswagen (!) beinahe umgemäht, als sie damit um die Ecke gerannt kam. Ich konnte gerade noch zur Seite springen und war fassungslos. Dann kam ein zweites Kind mit Einkaufswagen hinterher. Der Verkäuferin, welche die Regale einpflegte, sah man die Kopfschmerzen direkt an, die sie durch diese und andere sich irgendwann nunmal austoben müssenden Kinder bekommen hatte. Als die beiden Rotznasen aus unerfindlichen Gründen plärrend zu ihren Ökomüttern rannten, hellte sich ihr Gesicht für einen Moment schadenfroh auf. Wir wurden für kurze Zeit zu Komplizen.

Es gibt übrigens kaum noch Restaurants oder Cafés, die nicht explizit kinderfreundlich sind. Damit sind erwachsenenfreundliche Orte per se abgeschafft. Überall gibt es Spielzimmer, Kuschelecken und sonstiges Gedöns. Ich aber will einfach in Ruhe essen oder Kaffee trinken. Was ist so abartig an der Vorstellung, dass Kinder einfach einmal für eine halbe Stunde leise sein sollen? Mir tun ja jetzt schon alle LehrerInnen leid, die all diesen zappelnden und kreischenden Kinderterroristen irgendwas beibringen sollen.

Weil aber die dooferen unter den Eltern ihre Kinder noch dazu lieber wegschicken, als sich zu ihnen zu setzen und zu beaufsichtigen, rennen die Kinder zwischen den Räumen lärmend hin und her. Mal gibt es Streit, mal hat ein Kind Sehnsucht, immer ist irgendwas. Vor allen Dingen ist es immer sehr laut, dieses Irgendwas. Das stört jeden noch so freundlichen Gast! Es ist ärgerlich, wie die Großzahl der Eltern ihr persönliches Glück zwar privatisieren, den Ärger und den Unmuß aber sozialisieren. Entschuldigen Sie, aber ich bin etwas ungehalten.

Auf den Spielplätzen macht sich eine gewisse Schlunzigkeit breit. Die Neuberliner Eltern tragen ihre pastellfarbenen Marken-Wanderjacken und sind damit für jede Trecking-Tour und jedes Spielplatzwetter in Berlin gewappnet. Die Altberliner und die Mediokren sind anders schlunzig gekleidet: Kleid bzw. Rock über Hose, Trainingsjacken, Kapuzenjacken, Schlabberjeans, geblümte Küchenschürzen über Strumpfhosen und dergleichen mehr.

Sicher, Kinder schmutzen stark, und besonders mondän sind die Spielplätze auch nicht. Aber man muss sich deswegen ja auch nicht gleich gehen lassen, finde ich. Scheinbar hat man sich diesen Schmuddellook angewöhnt, als die Kinder noch auf den Kragen gespuckt haben beim Bäuerchen. Dann hat man das teure Hemd halt nicht mehr getragen, und auch die Jacke nicht. Man ist deswegen immer mehr verschlunzt, und womöglich ziehen manche Eltern schon gar nicht mehr ihren Schlafanzug aus.

Liebe Eltern: Die Kinder erbrechen ihr Essen ab einem bestimmten Alter nicht mehr auf Eure Anziehsachen! Ihr könnt Euch wieder ganz normal anziehen und die Männer können die Gesichter auch ein wenig rasieren. Und etwas Sport machen. Ihr seid fett! Und wenn Eure Kinder nicht jeden Tag ein Eis bekommen, sterben sie nicht! Zieht Euch endlich wieder ordentlich an. Das ist ja nicht mehr mit anzuschauen. Zwischen Lässigkeit und Nachlässigkeit verläuft nur ein schmaler Grat. Ihr habt ihn überschritten! Schon längst!

6 Kommentare:

mrs.hands hat gesagt…

leben und leben lassen, schneckchen! :D
sollen die sich doch anziehen wie sie wollen, persönliche geschmäcker und so... dein stil wird sicher auch nich jedem gefallen. wenn die auf geblümte kittelschürzen stehen... *seufz* und leider gehören auch lärmende bälger in gewissem masse zum öffentlichen leben dazu. punkt. aber man ist ja jetzt auch schon in einem alter, in dem man verbohrt und intolerant wird, gell? ;) ^^

holz e. von bald hat gesagt…

Ach was! Von wegen verbohrt und intolerant. Und von wegen Alter. Da tust Du mir Unrecht. Der urbane Mensch sucht eben auch nach Plätzen, an denen er mal entspannen kann. Kinder gehören sicher zum Alltag dazu. Gegen die habe ich auch nix.
Nur sind sich deren Eltern oft zu schade, vielleicht auch zu faul, ihre Kinder an solchen Orten (Cafés, Restaurants etc.) oder an den Arbeitsplätzen anderer (Supermärkte, Kaufhäuser) auch mal zur stillen Beschäftigung zu motivieren.
Ich finde wichtig, dass die Kleinen lernen, dass es unterschiedliche Orte mit unterschiedlichen Bedeutungen gibt und dass sie darauf Rücksicht nehmen müssen. Eltern sollten ihnen das zeigen, bevor aus Kindern erwachsene, rücksichtslose Idioten werden.
Doch leider scheinen sich viele Eltern gar nicht mit ihren Kindern auseinandersetzen zu wollen. Aber Kinder immerzu aus Bequemlichkeit gewähren zu lassen, ist die höchste Form der Lieblosigkeit.
Und wenn ich nun vergrantelt rüberkomme, dann habe ich deshalb noch lange nicht unrecht ;-)

mrs.hands hat gesagt…

sprachs und hatte recht ^^

nein, natürlich haben kinder nicht das rumlärmrecht gepachtet, nur weil sie kinder sind. und ich hoffe, dass ich mich an all das später erinnern werde. ;) (und wenn nicht bin ich mir sicher, dass du mich freundlicherweise daran erinnern wirst.)

holz e. von bald hat gesagt…

Siehst Du? Auch Querulanten können von Nutzen sein ;-)

mrs.hands hat gesagt…

das ziel sollte in so ziemlich allem ein gesunder mittelweg sein, nicht wahr? erziehung von der einen, toleranz von der anderen seite. dann wird das vielleicht auch noch was mit dieser welt.

holz e. von bald hat gesagt…

... und dabei nicht in die Mittelmäßigkeit verfallen ist die Kunst. Um meine Toleranz zu stählen, fahre ich jetzt wieder mal nach Brandenburg/ Havel und schaue mir dort eine Woche lang wohlhabende Ostdeutsche in maschendrahtzaungesicherten und hundebeschützten Häusern an. Danach kann mir nichts mehr etwas anhaben, für lange Zeit.