Sonntag, 10. Oktober 2010

Auf dem Boden der Tatsachen: Ernüchterndes aus der Welt der Kinder!

Wir leben in einer kinderfeindlichen Gesellschaft! Jährlich ist diese Behauptung ein paar Schlagzeilen wert, und viele Eltern würden ihr zustimmen: Denn dauernd beschweren sich ein paar grantige Rentner und Ärzteehepaare wegen dem Lärm, den Kinder nun mal zu emittieren in der Lage sind. Außerdem wären Kinder immer noch Karrierebremsen. Doch bleiben wir mal auf dem Boden der Tatsachen:

Das Kinder und Job nicht wirklich zusammengehen, ist allein kein Zeichen für eine kinderfeindliche Gesellschaft, sondern eine Frage der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit. Wer im Kapitalismus Kinder in die Welt setzt, muss das wissen. Denn Naivität ist dort nicht gefragt: Kinder bringen nur dort einen Nutzen, wo man sie gewinnbringend einsetzen kann - zum Beispiel durch Veräußerung. Fragen Sie dazu Madonna oder Angela Jolie, die statt Prada in den reichen Metropolen nun in armen Ländern Kinder shoppen gehen.

Überall dürfen Kinder ungestört Lärm machen und sich austoben. Sie lärmen ungehindert in Cafés, in Arztpraxen, in Wohnungen, auf Spielplätzen und auch sonst überall, und wirklich niemand fordert von ihnen Einhalt. Dabei sitzen deren Eltern bräsig neben dran und finden es unglaublich kinderfeindlich, wenn man zum Beispiel in einem Café, das man besucht um einmal in Ruhe einen Kaffee zu trinken, ein Kind dazu auffordert, sich etwas zu mäßigen. Ich finde es schon unglaublich, dass man da überhaupt etwas sagen muss. Ruhe sollte selbstverständlich sein.

Eltern haften für ihre Kinder! Letzten Endes haben die sich, aus welchen Gründen auch immer, für Kinder entschieden. Dann dürfen sie nicht erwarten, dass sich alles nach ihnen und ihrer Brut richtet. Als Kind habe ich gelernt, dass man an bestimmten Orten leise sprechen muss, behände zu laufen (also nicht zu trampeln), und dass ich nicht alles haben kann, was ich möchte. Oft war ich beleidigt oder ich habe geweint, wenn ich glaubte, meine Interessen seien nicht ausreichend beachtet worden. Ich habe es überlebt und bin nun ein ganz passabler Zeitgenosse mit einem gesunden Gefühl für Ruhepausen und Muse.

Ich sehe es allerdings nicht ein, dass ich zu hause bleiben muss, bloß weil Familien den öffentlichen Raum okkupieren und Terrorregime nebst Terrorregime errichten. Wir leben nicht in einer kinderfeindlichen, sondern in einer erwachsenenfeindlichen Welt! So sieht es nämlich aus! Erwachsene, ob mit oder ohne Kinder, müssen sich endlich von der Kinderherrschaft emanzipieren und lernen, ihre persönlichen Bedürfnisse zu schätzen. Eltern müssen damit aufhören, sich nur noch über ihre Kinder zu definieren und ihnen alles an den Arsch zu tragen, wenn sie auch nur glucksen. Wenn sie einmal "kinderfrei" haben, sollen sie auch nicht über ihre Kinder sprechen, sondern über etwas ähnlich Wichtiges. Und sie sollten sich darüber Gedanken machen, warum sie die überhaupt haben wollten. Hier ein paar ernüchternde Erklärungen dazu:

1. Kinder als Accessoire: Für viel mehr können Kinder gar nicht mehr herhalten. Seit Frauen und Männer erfolgreich verhüten können, gibt es eigentlich gar keinen altruistischen Grund mehr, Kinder zu bekommen. Ich habe noch nie einen wirklich plausiblen Grund genannt bekommen, warum es notwendig sein sollte, ein Kind in die Welt zu setzen. Aber irgendwie scheint es dazu zu gehören, so wie ein eigenes Haus, ein Auto, einen guten Job, tolle Visitenkarten, Mitgliedschaft im Tennisverein und dergleichen mehr.

2. Ich leiste damit einen Beitrag zur Sicherung der Renten und sorge durch Kindererzeugung dafür, dass die Art erhalten bleibt: Derart rassistisches Gedankengut ist weit verbreitet. Und den dahinter steckenden Altruismus nimmt einem sowieso keiner ab, der bei klarem Verstand ist. Davon abgesehen: Wie sollen die zukünftigen Arbeitslosen unsere Renten sichern? Hier steht allenfalls der egozentrische Trieb dahinter, sich in irgendeiner Form, zur Not auch auf Kosten des Nachwuchses, selbst zu vergewissern und so einen Distinktionsgewinn zu erzielen. Und sich als Märtyrer für die Gesellschaft aufzuspielen. Das ist ja so perfide!

3. Kinder geben so viel und machen die Welt zu einem besseren Ort: Kinder würden, wenn sie könnten, ihre Eltern ohne schlechtes Gewissen (das ist noch nicht voll entwickelt) aufessen. Wer glaubt, dass Kinder die besseren Menschen sind, der kommt durch Beobachtung einer Kindergruppe zu völlig falschen Ergebnissen: Kinder sind absolute Faschisten, nein - viel schlimmer - sie sind in ihrer Unbarmherzigkeit vollkommen willkürlich und daher unberechenbar. Hitler, Mussolini, Salazar, Franco, Baby Doc, Pinochet, Walter Mixa etc.: Sie alle würden blass erscheinen in einer von Kindern regierten Welt! W. Goldings "Herr der Fliegen" war eben kein Roman der Fiktion!

4. Es gehört zu meiner Bestimmung als Frau, Kinder in die Welt zu setzen! Die biologische Uhr tickt: Diese Uhr ist aber gar nicht biologisch. Sie ist eine gesellschaftliche Uhr. Der Druck der Gesellschaft auf junge Frauen ist enorm. Staat, deren Eltern, Religionsgemeinschaften - sie alle sehen in der Frau nur eine Gebärmaschine. Andersrum: Wenn alle Frauen wirklich Kinder haben wollten, warum gibt es dann eine Vielzahl von Verhütungsmitteln? Außerdem: Befragen sie doch mal Frauen aus ärmeren Verhältnissen, gerne auch in anderen Ländern, zu diesem Thema. Kinder zu bekommen ist hierzulande wohl eher die Flucht vor der beruflichen hinein in die private Verantwortung. Oder so: Wer beruflich scheitert, wird schwanger! Warum aber nicht einfach scheitern und hinterher ohne Kind das Leben genießen?

5. Die Pille / der Coitus Interruptus/ die Spirale / das Kondom hat versagt. Ich wollte eigentlich kein Kind. Nun ist es da! Hilfe! Die einzig wahre Art, ein Kind zu bekommen: zufällig, by accident. Nur so kann sich eine vernünftige Grundhaltung zum Kind entwickeln! Kein Podest wird aufgebaut, auf das es gestellt werden könnte. Die Eltern projizieren nicht ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche in ein Kind hinein und lassen es sein, was es ist: Ein neuer Mensch, der ordentliches Strippenziehen benötigt, um später nicht allzusehr asozial zu werden. Und schließlich wird dafür gesorgt, dass man selber auch noch eine bisschen Freude im Leben hat. Kinder sind doch ach so normal! Warum sollte dann mit ihnen kein normales Leben mehr möglich sein?

Leider vergessen viele Eltern, ihre Kinder zu erziehen. Sie fördern sie lieber. Ist auch leichter so: Förderung geht ja nur von den Stärken aus, da ist Kritik an den Schwächen nicht gefragt. Das Kind könnte ja sonst weinen. Wenn also ein Kind ein beknacktes Arschloch ist, aber irgendwie musikalisch begabt, dann fördert man die Begabung und hat am Ende ein musikalisch minderbegabtes, erwachsenes Arschloch im Elternhaus sitzen, dessen einzige Form der gesellschaftlichen Auflehnung darin besteht, sich möglichst lange dem Schweinesystem zu verweigern, indem es den Eltern auf der Tasche liegt (deren Einkommen freilich aus demselben System entspringt).

Hätte man doch lieber an dem Arschlochsyndrom gearbeitet! Nun ja, jede Gesellschaft hat die Kinder, die sie produziert. Nun sind es eben Kinder, die alles besser wissen als die Erwachsenen und die vor Selbstbewusstsein strotzen. Dumm nur, wenn es dafür überhaupt keine Grundlage gibt. Zu meiner Zeit musste man spätestens nach dem Angeben auch etwas beweisen. Heute reicht es aus, sich zu präsentieren, um andere glauben zu machen, dass man etwas kann. Auch hier wäre etwas Kritik am Unvermögen der Zöglinge vonnöten gewesen.

Extremes und vor allen Dingen dauerndes Geschrei wird zudem als oberstes Gebot der Selbstpräsentation betrachtet. Die Eltern sind sich allerdings zu schade, ihren Kindern die Grundformen gesellschaftlichen Konsenses beizubringen. Kaum ein Elternteil, dass sein Kind einmal zur Stille gemahnt. Oder das in der Lage ist, seinem Kind etwas zu verwehren, weil es sonst weint. Ach Gottchen, Kindchen darf nicht weinen! Willst Du ein Eis, hmmmm?

Wer auf die Idee gekommen ist, dass es schädlich ist, wenn ein Kind weint, traurig ist oder einfach mal still in der Ecke sitzt, der gehört standrechtlich erschossen. Kinder darf man nicht anschreien, man darf von ihnen nicht erwarten, dass sie sich erträglich benehmen, man darf sie nur fordern, wenn es um schulische Leistungen geht und man darf deren erbärmliches Kindergeschwätz auch nie unterbrechen. Und man darf keinerlei Kritik formulieren, sonst durchleben Kinder Trauma auf Trauma.

So ein Quatsch! Natürlich darf man all das tun, und Traumata gehören zur Entwicklung eines jeden Menschen. Wer Kinder vor Traumata bewahrt, der verwehrt ihnen jede persönliche Reifung. Das wäre der Gipfel der Lieblosigkeit, getarnt als Güte. Eltern müssen, wenn sie schon Kinder haben mussten, knallhart sein können. Sonst tanzen ihnen die kleinen Terroristen auf der Nase herum und stehlen ihnen den letzten Rest selbstbestimmten Lebens. Eltern müssen ihrem Kind gegen jede Quengelei das tägliche Eis verbieten können und ihren Kindern abverlangen, sich einmal mit sich selbst zu beschäftigen.

Eltern sind eben keine Dienstleister, und Kinder sind keine Kunden. Die einen haben auch noch ein Leben, und die anderen müssen auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereitet werden. Da muss vermittelt werden. Und je weniger Ratgeber man sich zu diesem Vermittlungsprozess kauft, desto besser. Am Ende zählt nämlich nicht, wer seine Kinder am Lässigsten oder am Strengsten erzogen hat, sondern wer sie am Besten auf die Anforderungen der Gesellschaft vorbereitet hat - mit einem Quäntchen Kritikbewußtsein selbstredend.

Übrigens: Kinder wissen es zu schätzen, wenn man sich mit ihnen mal so ordentlich streitet! Und sie sterben nicht, wenn sie nicht sofort alle ihre Wünsche erfüllt bekommen. Sie freuen sich vielmehr, wenn ab und an mal einer gewährt wird. Und das kann dann auch ein Eis sein. Zuviel von allem raubt jedoch die Freude daran und steigert das Anspruchsdenken! Und Ansprüche sind immer so langweilig wie jene, die sie formulieren.

Hugh, ich habe gesprochen!

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