Sonntag, 17. August 2008

Telefonieren mit dem Headset! Schwarze Pädagogik, where are you?

Früher hat man einwandfrei erkennen können, ob jemand ein Psycho ist oder nicht: Wer im Freien laut mit sich selbst gesprochen hat, konnte getrost als ein solcher eingestuft werden. "Besser nicht reagieren", sagte man dann leise zu sich selbst, "sonst verwechselt mich der Psycho mit einer seiner halluzinierten Gestalten und drückt mir einen Monolog ins Ohr oder ein Messer in den Rücken." Einen weiten Bogen um seltsame Menschen zu machen hat ja noch nie geschadet. Manchen kann man dennoch nicht entkommen, wie z.B. jenem Herren in der Straßenbahn, der stetig folgendes vor sich hinmurmelte: "Rnch, hrmmm, Viehtransporter hmhm - Viehtransporter, ab in die Schlachtbank, jahaahwoll! Grmmm, ihr alle, alle! Ronch, Schlachtbank, grmpf jaaaaja!"

Dank Headsets für den Mobilfunk ist es nicht mehr so ganz einfach, die Leute richtig einzuordnen. Zuerst dachte ich ja, der Anteil stark gestörter Menschen sei stark angestiegen, doch dann habe ich entdeckt: Einige darunter telefonieren per Freisprechanlage. Doch ist dies nicht nur eine andere Form von unterdrückter Geistesgestörtheit? Denn wer generell nicht bereit ist, sein Gesicht mit Mobilfunkstrahlen zu duschen, der zeigt doch ein kommunikatives Suchtverhalten. Dieser Befund ist zwar überhaupt nicht wissenschaftlich begründet. Aber auf die Idee mit dem Headset können nur Dauertelefonierer mit latenter Flatrate kommen. Endlos verstrippte Quassler, denen kein Anlass zu blöd ist, um nicht als potenzielle Psychotiker fehlinterptretiert zu werden.

Apropos Dauerquassler: Eine kleine Gruppe junger Studentinnen suchte kürzlich das Café Sammo heim, in dem sich auch meine Wenigkeit für eine kleine Rast aufhielt. Sie wurde von einem besonders lauten Exemplar dominiert, das zu jedem Thema noch eine Extra-Story parat hatte. Die Gespräche jedoch waren zu wenig interessant, als das ich hätte zuhören wollen. Deshalb wollte ich hin und ihr leise zuflüstern: "Hallo, kleine Studiermaus, Du musst nicht schreien! Deine Freundinnen sitzen bei Dir am Tisch, sie können Dich bestimmt verstehen. Ich, der ich drei Tische weiter sitze, kann es doch auch!" Meine Mutter hat mir immer, wenn ich ihrem Empfinden nach etwas zu laut wurde, ein giftiges "Psssst!" entgegen gezischt. Ich war ihr oft zu laut. Deswegen habe ich Komplexe aufgebaut. Mitmenschen schätzen nun aber meine gepflegte Art der Konversation, die ohne Geschrei und Geplärre auszukommen scheint. Man attestiert mir eine angenehme Stimme, und so habe ich meinen Komplex mittlerweile richtig gerne.

Ist Erziehung denn am Ende nichts anderes, als die Brechung des anarchistisch-kindlichen Gemüts hin zur Gesellschaftskompatibilität? Aber wird heutzutage denn überhaupt noch erzogen? Bekommen Kinder noch auf die Finger gehauen, wenn sie allzu nassforsch sind? Ich neige zu der Behauptung, dass heutige Eltern schlicht überfordert sind und ihre Kinder gar nicht mehr erziehen. Viel schlimmer noch: Sie bürden den Kleinen die Verantwortung auf, sich selber zu erziehen. Eltern wollen lieber die Kumpels ihrer Kinder sein, und nicht deren Aufseher. Später als Jugendliche sind die Plagen zuerst Terroristen, als Erwachsene dann verantwortungslose Idioten ohne jede Sozialkompetenz. Hinterher weiß keiner mehr, ob sie Psychotiker sind oder doch einfach nur telefonieren. Schwarze Pädagogik, where are you?

Keine Kommentare: