Freitag, 1. Februar 2008

Vorbei-Walking am Karneval! Republikflucht statt Narretei!

Als ich in Berlin lebte, war Fasnacht praktisch nicht sichtbar. Es konnte einem zwar passieren, dass ein bis zwei Wägelchen den lieben Weg kreuzten, um dort karnevalistischen Umzug zu halten, aber in der Regel wurde dies nüchtern goutiert: Der Berliner stand stoisch mit verschränkten Armen und eisigem Blick spalier, während die rheinischen Jecken lustig waren und mit Bonbons um sich warfen. Man behauptet heute noch, dass man von diesem Gedöns überhaupt nichts wusste, bevor die "Bonner" nach Berlin zogen und das Leben in der Stadt damit verteuerten.

Insgesamt ist es ja auch eher fragwürdig, dass Menschen, die ihren Alltag damit verbringen, sich gegenseitig zu betrügen, zu verklagen und aufeinander herumzuhacken, in der närrischen Zeit ihre gesamte Spiessigkeit angeblich über Bord werfen und die "Herrschaftsverhältnisse" für kurze Zeit umdrehen wollen. Denn das ist ja der eigentliche Zweck des Karnevals.

Früheren Herrschern war sehr wohl bewusst, dass ein geknechtetes Volk ein Ventil zum Druckabbau braucht. Man nahm also ein ehedem heidnisches Ritual auf und gestattete den Leuten allerlei Narreteien. Sie sollten sich berauschen und laben an den drei Tagen ihrer Macht, bis die Kirche sich wieder einmal einmischen durfte und dem Ausnahmezustand den Garaus (Kehraus) machte am heiligen Tag der Asche, dem Aschermittwoch. Damit war der Spass wieder vorbei, und der Zehnte wurde bald fällig.

Die stumpf vor sich hin lebende Masse Mensch hat heute mehrere solcher Ausnahmezustände, doch wo einst für ein paar Tage tatsächliche Regimekritik geäussert wurde, sind es heute pseudopolitische Veranstaltungen wie der Umzug am Rosenmontag, an denen besonders lustige Menschen besonders lustige Wagen durch die Straßen karren. Oder anderntags, in der sogenannte Hexennacht Toilettenpapier um KFZ wickeln. Oder sich bei der Betriebsfeier nackig auf den Kopierer setzen, um Genitalienquiz zu spielen.

Kein Anlass ist dämlich genug, um der Tristesse des Alltags zu entkommen. Bei einigen tut es auch eine Fußball(welt)meisterschaft, um ihr Abstandsbedürfnis vom Alltag zu zelebrieren. Oder, seit ein paar Jahren: Halloween! Ich glaube kein Mensch hierzulande kapiert, worum es dabei eigentlich geht. Ist aber egal, man kann sich wunderbar verkleiden und endlich mal jemand anderes sein.

Es ist das Aufbegehren des ohnmächtigen Menschen, des eigentlichen Gefangenen, den ein paar Tage Freigang vor dem Selbstmord bewahren. Ich bin sicher, dass diese lustigen NärrInnen und Narren gar nicht so lustig sind, wenn man ihnen irgendwas vor der Nase wegschnappt, sei es die Vorfahrt oder auch das letzte Brötchen.

Glücklicherweise wurde der sogenannte Altweiberfasching gestern ausschließlich IN den gängigen Kneipenformaten gefeiert, so dass meine Bestürztheit einer milden Mitleidsbekundung wich. Ungelogen aber ist, dass der Fasnachtshit dieses Jahr "Olè Olè Olè" oder so ähnlich ist. Etwas anderes ergab sich bei den Stichproben durch zufälliges "Vorbei-Walking" nicht.

Man kann ahnen, dass ich selbst nicht viel von derlei Beschäftigung halte und mich die hiesige Begeisterung eher nachdenklich stimmt. Für die Tage des närrischen Treibens verübe ich deshalb mit meiner lieben Frau C. Republikflucht. Die kleine Insel Gozo zu Malta muss dafür herhalten. Sie ist ca. 6km lang und 3km breit und hatte einmal einen Bürgermeister, der die Wahl mit dem Versprechen gewann, dass er überall auf der Insel Jukeboxen aufstellen wollte. Er wurde wieder abgesetzt, nachdem ihm das nicht gelanng. Närrisch sein im Alltag ist so viel interessanter!

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